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Schwarzes Blut

Schwarzes Blut

Titel: Schwarzes Blut
Autoren: Christopher Pike
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bereitet, als irgend etwas sonst auf dieser Welt es bis dahin vermocht hat. Die Schönheit von Krishnas Augen geht mir nicht aus dem Sinn – die blauen Sterne, in denen sich die gesamte Schöpfung spiegelt. Es ist, als vertraute ich seiner Schönheit mehr als seinen Worten. Seine Liebe war etwas, das ich nie zu begreifen brauchte. Wie der endlose Himmel war sie einfach da, am Tag, an dem wir uns begegneten.
    Der Tag, an dem wir uns begegneten.
Was machte er denn an diesem bemerkenswerten Tag?
Er spielte sein Lied auf der Flöte. Yaksha hatte ihn zum Wettkampf
    herausgefordert. Gemeinsam stiegen sie in eine Schlangengrube voller Kobras und einigten sich darauf, daß derjenige Sieger sein würde, der lebendig wieder herauskäme. Beide trugen sie Flöten bei sich und spielten Lieder, um die Schlangen zu verzaubern und vom Angriff abzuhalten. Am Ende jedoch siegte Krishna, weil er die geheimen Töne kannte, die die unterschiedlichen Empfindungen von allen ansprachen, die dabei waren. Mit seinem Lied traf Krishna Yaksha tief ins Herz und förderte Liebe, Haß und Furcht zutage – in dieser Reihenfolge. Und dieses letztgenannte Gefühl war es, das Yaksha verlieren ließ, denn eine Schlange greift nur an, wenn sie die Furcht ihres Gegenübers spürt. Sein Körper troff vor Schlangengift, als Krishna ihm aus der Grube half.
Ich habe keine Flöte bei mir, um dieses Lied zu spielen.
Aber ich entsinne mich noch genau daran. Ja.
»Singe dieses Lied, und ich werde bei dir sein.«
Seit jenem Tag und seit jener Zeit erinnere ich mich daran. Mein Traum war
    mehr als nur ein Traum. Er war ein Schlüssel.
Ich blickte Eddie unverwandt in die Augen und beginne zu pfeifen. Zunächst schenkt er mir keine Beachtung.
Er trinkt ein drittes Glas mit meinem Blut aus.
Meine Kraft läßt nach. Zeit für Liebe habe ich nicht, noch nicht einmal für
    Haß. Ich singe das letzte Lied, das Krishna für uns gesungen hat: das der Furcht. Die Melodie, der Klang, die Tonhöhe: Alles ist in meiner Seele eingraviert. Meine Lippen formen sich zu den Strophen von Krishnas Flötenlied. Natürlich sehe ich Krishna dabei nicht, und ich spüre wohl noch nicht mal seine göttliche Allgegenwart. Aber etwas Besonderes spüre ich doch. Meine Angst ist groß, und dieses Gefühl geht mir tief ins Blut. Und das trinkt Eddie hier gerade nach und nach aus. Als er noch einen Schluck zu sich nimmt, legen sich seine Stirn in Sorgenfalten, und darüber freue ich mich. Darüber hinaus jedoch erkenne ich die wahre Bedeutung meines Körpers, dem Instrument, auf dem für uns alle ständig das Lied des Todes und das Lied des Lebens gespielt wird. Während ich mir dessen bewußt werde, bekomme ich sogar ein Gefühl für den Spieler, mein wahres Ich, nämlich das Ich, das schon existierte, bevor ich diese verruchte Bühne betrat und mir das Kostüm des Vampirs anlegte.
    Erneut fällt mir ein, daß ich anders sein wollte als die anderen.
    Das blutige Glas in der Hand schaut Eddie mich seltsam an. »Was machst du denn?« fragt er.
Meine Antwort besteht nicht aus Worten. Weiter und weiter entströmt meinem Mund die Melodie, giftige Töne, mit denen ich die Welt zu retten hoffe. Ihr Einfluß breitet sich im Zimmer aus. Joels Atem wird qualvoll – mein Lied bringt auch ihn fast um. Auf jeden Fall aber bringt es Eddie durcheinander. Plötzlich stellt dieser das Glas ab und fuchtelt mit dem Revolver in meine Richtung.
»Hör auf damit!« befiehlt er.
Ich weiß, daß ich aufhören muß, wenigstens mit dieser Melodie. Wenn nicht, schießt er auf mich, und ich bin tot. Aber mir kommt ein anderer Ton in den Sinn, und – merkwürdig! – es ist keiner von denen, die Krishna an dem Tag sang, als er sich mit Yaksha duellierte. Doch er ist mir vertraut, und wieder bin ich überzeugt davon, daß mein Traum eine echte Vision gewesen ist. Bevor ich in die Schöpfung trat, gab Krishna mir alle Töne des Lebens, alle Schlüssel zu den Gefühlen, die einem Menschen – und einem Monster – erfahrbar sind.
Ich singe den Ton des zweiten Körperzentrums – des sexuellen Zentrums. Wenn die Lebensenergie fließt, sind hier zwei Bewußtseinszustände erfahrbar. Intensive Kreativität, wenn die Energie nach oben steigt, und intensive Lust, wenn die Energie nach unten geht. Ich beuge mich vor zu Eddie, visiere seine Augen, seine Ohren, lasse diesen geheimen Ton in sein Nervensystem eindringen und schicke ihn nach unten. Nach unten bis fast in den Boden hinab, in dem ich seinen stinkenden Körper gerne
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