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Sommer in Venedig

Sommer in Venedig

Titel: Sommer in Venedig
Autoren: Joleen Carter
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Kapitel 1

 
    Der Mann, der Rebecca gegenübersaß, hatte den
Kopf an die Fensterscheibe gelehnt und schnarchte leise. Er mochte Anfang
sechzig sein, sein Haar war zwar voll, wurde aber von zahllosen weißen Fäden
durchzogen.
    Während der Zug die Alpen passierte, hatte
Rebecca die ganze Zeit fasziniert aus dem Fenster gesehen. Besonders der
Sonnenaufgang hatte es ihr angetan. Doch mittlerweile waren die schroffen Berge
zu Hügeln geworden. Und auch diese liefen nun in einer weiten Ebene aus.
Nirgendwo sonst in Italien war das Land so flach wie in dieser Region. Und
Rebecca war sehr glücklich, sie endlich persönlich bereisen zu dürfen.

 
    Nun, da die Aussicht keine Abwechslung mehr bot,
beobachtete Rebecca den italienischen Herrn bei seinem Nickerchen. Sein Hemd
war von der Reise zerdrückt, aber sie konnte sehen, dass es von guter Qualität
war. Überhaupt achteten die Italiener sehr auf ein gepflegtes Äußeres. Ein
Umstand, der Rebecca sehr entgegen kam. Besonders, da sie schon viele Stunden
mit dem Mann in dem kleinen Zugabteil verbracht hatte. Noch immer umwehte ihn
der Hauch eines herben Rasierwassers.
    Er würde noch weiter reisen als sie. Endete
Rebeccas Reise in der Lagunenstadt Venedig, ging es für ihn noch weiter bis
Bologna. Dort allerdings würde seine gesamte Familie ihn am Bahnhof erwarten, während
Rebecca vollkommen auf sich allein gestellt sein würde in der Stadt der Liebe:
Venedig.

 
    Ein wenig mulmig wurde ihr schon, wenn sie daran
dachte. Aber Stefan, der Freund ihres Bruders Timo, hatte alles nur Erdenkliche
zu dieser Reise gegoogelt und in einem Schnellhefter für sie zusammengestellt.
Sie konnte eigentlich gar nicht anders, als pünktlich an ihrem neuen
Arbeitsplatz einzutreffen. Immer wieder hatte sie während der Reise die
Unterlagen studiert und sich alles genau eingeprägt. Die langen Gespräche mit
einer Italienerin, die den Zug bereits verlassen hatte, räumten die letzten
Zweifel aus, die sie bezüglich ihrer Fremdsprachenkenntnisse noch gehabt hatte.

 
    Als der Zug in den Bahnhof »Santa Lucia«
einrollte, rüttelte sie den alten Mann vorsichtig wach, um sich noch einmal von
ihm zu verabschieden und ihn um Hilfe zu bitten. Schnell sprang er auf seine
kurzen Beine – Italiener waren leider viel zu klein für eine
hochgewachsene Deutsche wie Rebecca – und gemeinsam wuchteten sie den
schweren Koffer aus der Gepäckablage. Dann ergriff er sie an den Schultern und
küsste sie beherzt auf jede Wange. »Buona Fortuna, Signorina!«, wünschte er ihr
strahlend. Und es bestand kein Zweifel, dass er ihr das Glück wirklich gönnte.
Einfach so!

 
    Den Griff des Trolleys fest in der linken Hand,
studierte Rebecca die Wegbeschreibung in ihrer Rechten. Ein Wassertaxi sollte
sie zum Hotel bringen. Aber nein, das kostete ja 75 Euro! Was hatte sich Stefan
denn dabei gedacht? Das konnte sie sich nicht leisten. Und das wusste er doch.
Sie war schließlich nur eine Studentin. Hier in Venedig wollte sie sich während
der Semesterferien ein paar Euro dazu verdienen. Deshalb war sie hier. Und natürlich,
weil sie als Studentin der Kunstgeschichte schon immer davon geträumt hatte,
einmal in die Vergangenheit dieser Stadt einzutauchen.

 
    Eines Abends im Winter hatten ihr Bruder Timo und
ihrer beider Mitbewohner Stefan, der gleichzeitig Timos bester Freund war,
Rebecca in die Küche gebeten. Seit sie Timo vor zwei Jahren nach Berlin gefolgt
war, um zu studieren, teilte sie mit den beiden eine Wohnung im Dachgeschoss
eines Altbaus. An jenem Abend, bei einer dicken Stumpenkerze und ein paar Gläsern
Rotwein, ließ Stefan die Bombe platzen: Der Freund eines Bekannten hatte einen
Ferienjob für Rebecca ergattert. Zwar nur als Zimmermädchen, aber dafür in
einem der besten Hotels Venedigs. Grund genug, Stefan um den Hals zu fallen.
Seither machte er sich Hoffnung auf mehr. Rebecca mochte Stefan sehr, dennoch
war er wie ein zweiter Bruder für sie. Sie konnte es nicht ändern.

 
    Wie konnten ihre Gedanken nur hier, in dieser märchenhaften
Lagunenstadt, nach Berlin zurückschweifen? Sie riss sich zusammen und blickte
sich um. Dort am Steg lag ein Wasserbus, ein sogenanntes »Vaporetto«. Es
kostete nur sieben Euro, so stand es in ihren Unterlagen. Die Fahrt würde
vierzig Minuten dauern und an der Vaporetto-Haltestelle »San Zaccaria«, nahe
der »Piazza San Marco«, müsste sie aussteigen.

 
    Wie aufregend das alles war. Mit ihren
zweiundzwanzig Jahren hatte Rebecca zwar schon mehr
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