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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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außen sähe man der alten Villa, wäre da nicht das Neonschild, ihr turbulentes Innenleben nicht an. Meine durchtanzten Nächte verbringe ich meistens dort. Die Musik im Fairy Club ist mal aufpeitschender Treibstoff, mal kühle Melancholie, die Stile wechseln, Elektronisches überwiegt. Manchmal spielen sie komplexe Kopfmusik, das gefällt mir.
    Als wir ankommen, hat der Regen fast aufgehört. Der Neonschriftzug glimmt durch die verwaschene Luft. Wir fliehen unter das geschwungene Vordach und treten ein. Die Villa hat zwei Flügel, dazwischen liegt der langgestreckte Barraum. Von links erahne ich den Puls der Big Beats, rechts kann ich langsam anschwellende und wieder abflauende Lichter sehen. Borg geht geradeaus an die Bar. Ich schwenke ab nach unten.
    Bei den Toiletten steht, vor einer Spiegelwand, eine lebensgroße Alabasterfigur von Peter Pan. Er sieht mir ähnlich, denke ich im Vorbeigehen und wünschte, er hätte weiches Haar, ein biegsames Rückgrat und nicht den starren Alabasterhals. Auf dem Weg zurück berühre ich seine Wange. Bilde mir ein, dass sie wärmer ist als gewöhnlicher Stein. Dass unterm Weiß ganz sachte Sommersprossen durchschimmern. Ich nehme in großen Schritten die Treppe nach oben. Während im Keller ein übersüßer Duft zu haften scheint, riecht es im Barraum nach Zitronen und Kerzen.
    Die Hälfte der Wände im Fairy Club ist in dunklem Violett gestrichen. Tuntenschwarz, nennen das manche, oder Mädchenschwarz. Die andere Hälfte ist blass wie Muschelinneres. Überall hängen flache Glaskästen mit aufgespießten Schmetterlingen an der Wand, viele und große Arten. Einige Kunden finden das geschmacklos. Mir gefallen sie. Wenn ich zu müde zum Tanzen bin, liege ich in einem der Sessel und versuche, mich an die Namen der Schmetterlinge zu erinnern. Spanner, Spinner, Schwärmer. Mir fällt nichts ein.
    Borg lächelt von weitem zu mir herüber. Wäre er ein Schmetterling, müsste er schneeweiß sein, denke ich, mit dünnen grauen Äderchen, vielleicht eine Art Seidenspinner. Er lungert mit Nestor, dem Residenten des linken Clubflügels, an der Bar herum. Borg kennt die meisten Gesichter hinter den Mischpulten, er kennt ihre Adressen und Geschichten. Er öffnet ein Cocktailschirmchen und kaut auf dem Stiel herum. Sein Bananensaftmixgetränk ist schon halb leer. Zu den beiden stößt ein schmächtiger Mann in Dunkelblau. Ich erinnere mich an ihn, ein schwuler Schriftsteller aus dem Hinterland. Nach kurzem Palaver verschwindet Nestor mit wippenden Schritten nach links. Der dunkelblaue Anzug bleibt bei Borg und lächelt ihm tiefer in die Augen. Ich sehe eine Weile zu. Während des Flirtens faltet der schwule Provinzdichter Segelschiffe aus Servietten. Meine Laune flattert irgendwo an der Decke herum, zwischen den Flügeln zweier schwarzer Ventilatoren, ich bekomme sie nicht zu fassen. Könnte nicht sagen, ob es mir gutgeht oder nicht.
    Lora, die gern Leder trägt und Zigarren raucht, ist auch da. Sie schiebt ihren spanischen Hintern in einen Clubsessel und kaut auf ihrer Unterlippe. Wenn Lora ein Schmetterling wäre, sie wäre bitterschokoladenbraun. Ihr streng zurückgebundenes Haar wirkt im wechselnden Licht wie ein dunkles Erz. Sie unterhält sich mit einer anderen Frau und beugt sich vor, um über die Musik hinweg in deren Ohr zu sprechen.
    Lora wohnt mit uns in Borgs Haus, seit ich sie eines Morgens halb erfroren am Straßenrand auflas. Anfangs glaubte ich, ihr finsterer Blick habe etwas mit der Erfrorenheit zu tun. Aber sie taute nie ganz auf, jedenfalls nicht mit mir. Sie hat sich nie bei mir bedankt. Was okay ist. Ein Danke aus ihrem Mund wäre wie ein Kaugummi aus einem Kondomautomaten. Unwahrscheinlich und nutzlos. Sie hatte mir gefallen, mit den blassgefrorenen Händen und den bitteren Mundwinkeln, auf eine Art gefallen, die fast unangenehm war. Jedenfalls fragte ich sie, ob sie Tee oder Kaffee will. Sie kam mit und lächelte sogar, als ich ihre Tasse auffüllte.
    Der Wechsel vom sanft beschallten Barraum in den Saal mit den harten lauten Tönen ist ein Weltenwechsel. So brachial ist die Musik, dass sie meinem Hirn einen Stoß versetzt, mich augenblicklich in eine andere Sphäre kickt. Ich mag sie. Was sie auslöst, ist schlicht und spannend. Am Rand der Tanzfläche stehen, wie um einen Swimmingpool, ein paar Gestalten mit Gläsern in der Hand. Die Tanzfläche selbst ist noch leer, ein doppelter Reiz.
    Das Klopfen meines Herzens ignorierend, lasse ich mich in die Mitte des Raumes
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