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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung
Autoren: Ernst Peter Fischer
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Die alten Quantensprünge
    Quantensprünge kennt inzwischen jeder. Gemeint ist das Wort. Denn wer Unternehmern, Managern, Politikern oder anderen Festrednern zuhört, kann darauf wetten, dass es nicht lange dauert, bis in den jeweiligen Reden angekündigt oder gar versprochen wird, dass demnächst Quantensprünge in der Entwicklung eintreten würden. Damit sind plötzlich in Erscheinung tretende und außerordentliche Dimensionen annehmende Fortschritte sowie damit verbundene Gewinne gemeint, die dem Wohle des Volkes oder zumindest dem der Aktionäre dienen und mit deren Hilfe die Redner hoffen, die Zukunft meistern oder gestalten zu können.
Der doppelte Unsinn
    Quantensprünge erfreuen sich also großer Beliebtheit, und niemand bemerkt, dass bei dieser fröhlichen Beschwörung einer wissenschaftlichen Idee und ihrer Einbettung in den sozialen Alltag das tatsächlich damit Gemeinte in doppelter Hinsicht auf den Kopf gestellt und also ziemlich unsinnig wird.
    Zum einen bezeichnet die Physik, der wir das Konzept eines Quantensprungs verdanken, mit diesem Ausdruck und der entsprechenden Tatsache die allerkleinste Veränderung, die einem gegebenen Etwas – einem Atom oder einem Molekül – passieren kann, und wenn die damit verbundene Bewegung einsetzt, geht es gewöhnlich bergab, also nach unten. Ein Atom etwa, das einen Quantensprung ausführt, landet dabei zumeist in seinem Grundzustand, wie die Wissenschaft es nennt, und in dieser Position möchte es dann so lange wie möglich untätig verweilen. Ein Quantensprung bewirkt also etwas, das die erwähnten Manager und Politiker für das von ihnen Verantwortete unter allen Umständen vermeiden möchten. Und das macht die Frage unvermeidlich: Warum reden sie überhaupt von Quantensprüngen? Für außenstehende Laien gilt auf jeden Fall die Regel: Wenn sie demnächst hören, dass Wirtschaftsbosse oder führende Politikerinnen, die etwas von Physik verstehen, Quantensprünge für ein Unternehmen oder die allgemeine Lage ankündigen, und wenn sie das Gesagte ernst nehmen, dann sollten sofort alle relevanten Aktien auf den Markt geworfen bzw. eine andere Partei gewählt werden.
    Während diese erste öffentliche Verdrehung einer wissenschaftlichen Einsicht inzwischen vielen auffällt, bleibt die zweite bislang noch unbemerkt. Da sie aber tiefer geht, sollte sie von allen sorgfältig bedacht werden, die sich seriös darauf einlassen wollen, die physikalische Wirklichkeit, so wie sie sich nach der Entdeckung der Quantensprünge und mit deren Hilfe darstellt, zu verstehen. Denn im Gegensatz zu den publikumswirksamen Beschwörern von (fantasierten und zugleich fantastischen) Quantensprüngen – meist begrüßen und bejubeln sie die dazugehörigen Veränderungen freudig und können eigentlich gar nicht genug von ihnen bekommen – zeigten sich die wissenschaftlichen Entdecker des ruckhaften und unsteten Verhaltens der Natur erst erstaunt und dann schockiert. Sie reagierten entsetzt, verzweifelt, erschrocken und verwirrt, wie ihren Biografien zu entnehmen ist, und sie litten unter ihren eigenen Befunden. Einige Physiker fühlten sich von der Quantenhopserei gar angewidert und angeekelt, und viele von ihnen hatten nur eines im Sinn, nämlich die unstetigen Elemente unter allen Umständen und so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Paradox formuliert: Sie verstanden die Welt nicht mehr, obwohl sie sie gerade verstanden hatten (wie wir heute wissen und sagen können). Einer von ihnen, der Däne Niels Bohr, meinte, wer bei der Physik der Quantensprünge nicht verrückt werde, der habe sie überhaupt nicht begriffen, und seine jüngeren Kollegen zitierten als wiederkehrenden Orgelton den Satz, den Shakespeare seinem Hamlet in den Mund legt: »Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode.« Wir werden diesem Hamlet-Prinzip des wissenschaftlichen Fortschritts noch häufiger im Buch begegnen. Das Besondere an ihm ist, dass es nahezu nichts mit der fiktiven Logik der Forschung zu tun hat, an der viele Wissenschaftstheoretiker bis heute festhalten.
    Tatsächlich und zu unserem Glück kennt die Forschung Methoden und hält sich auch an diese, um nachvollziehbar argumentieren zu können. Gerade deshalb bedurfte es eines Akts der Verzweiflung, um die Quantensprünge überhaupt einzuführen, und es war der zwar große, aber stets bescheiden bleibende Max Planck, der ihn ziemlich pünktlich zum Beginn des 20. Jahrhunderts vollziehen konnte bzw. musste. Wenn ihn damals jemand gefragt
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