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Boy 7

Boy 7

Titel: Boy 7
Autoren: Mirjam Mous
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Teil 1
Der Junge ohne Gedächtnis
    Weil sie durchhielt, erreichte sogar
die Schnecke die Arche Noah.
(Japanische Weisheit)
    1
    Ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gestoßen werden. In einem Affenzahn mit einem Auto herumrasen, das sich um keinen Preis lenken lässt. Ins tiefe Wasser geworfen werden, obwohl man nie schwimmen gelernt hat. Sich in einer fremden Stadt verirren und niemanden nach dem Weg fragen können, weil alle japanisch sprechen.
    So fühlte es sich an. Und zwar alles davon gleichzeitig.
    Ich wusste nicht, wer ich war, wo ich war und wie ich an diesen verlassenen Ort geraten war. Aber dass mir fast der Schädel platzte vor Schmerzen, das wusste ich. Es war, als hätte man mir mit einem Hammer alle Erinnerungen herausgeschlagen – und sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte sie nicht wiederfinden. Alles war auf einmal vollkommen unsicher, Geheimsprache und nicht zuverlässig. Ich war da und doch nicht wirklich, und das verursachte schon ein ziemlich gruseliges Gefühl. Mehr als gruselig. Ehrlich gesagt, machte ich mir vor Angst fast in die Hosen – eine ausgefranste Jeans, die mir auch nicht allzu bekannt vorkam. Ich sehnte mich nach einem sicheren Ort, einem Bett oder notfalls einer Höhle, in der ich mich verkriechen könnte, aber auf dieser endlosen gelben Grasebene gab es nichts, was Schutz bieten konnte. Kein Haus, kein Bauernhof, nicht mal ein Schuppen. Nur ein endloser Asphaltstreifen, der die kahle Landschaft spaltete. Die Luft darüber wirkte flüssig in der Hitze. Ich selbst übrigens auch. Mein Hemd – complete stranger Nummer so und so viel – klebte mir am klatschnassen Rücken. Der Ärmel war eingerissen und die Haut darunter aufgeschürft.
    Hatte ich einen Unfall gehabt? War ich auf den Kopf gefallen und hatte durch den Schlag mein Gedächtnis verloren?
    Ich spähte die Gegend ab. Doch nirgends sah ich einen beschädigten Motorroller oder ein Auto, das möglicherweise auf seinem Dach gelandet war – als wäre ich wie Ikarus mit geschmolzenen Flügeln vom Himmel gefallen. Ikarus, den kannte ich anscheinend. Ich hätte lieber gewusst, wie ich selbst hieß. Wenn ich erst meinen Namen wieder hatte, würde sich der Rest von selbst ergeben ...
    Moment!
    Fieberhaft wühlte ich in den Taschen meiner Jeans. Ich tastete mein Hemd ab, fühlte in der Mini-Brusttasche.
    Leer. Kein Ausweis, kein Einkaufszettel, gar nichts.
    In den Augenwinkeln juckte es und meine Gedanken überschlugen sich. Das war bestimmt ein Scherz. Gleich würde ein Mann mit versteckter Kamera aus dem Gras aufspringen, grinsen und »Hab dich!« rufen. Oder vielleicht war ich nicht echt und existierte nur im Kopf irgendeines Irren. Oder noch schlimmer: Ich war selbst verrückt geworden.
    Ich senkte den Kopf und presste die Fäuste gegen die aufsteigenden Tränen. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich träumte und würde gleich aufwachen.
    Aber als ich wieder aufschaute, saß ich noch immer an derselben Stelle in der sengenden Sonne. Mir wurde klar, dass ich die Wahl hatte: hier bei lebendigem Leibe verbrutzeln oder Hilfe suchen.
    Ich entschied mich für Letzteres.
    Sobald ich aufzustehen versuchte, knickte mein Knöchel um und ich plumpste wieder auf den Boden. Der pochende Schmerz nahm mir fast den Atem. Ich löste die Schnürsenkel und schob meine Socke – dunkelblau mit einer 7 darauf – hinunter. Der Knöchel war dick geschwollen. Da kein Arzt in der Nähe war, packte ich ihn wieder ein und band die Schnürsenkel, so fest es ging. Hoffentlich gaben die Bergschuhe – nie zuvor gesehen, aber sie sahen gebraucht aus und passten genau – genügend Halt zum Laufen.
    Wieder stellte ich mich hin, diesmal vorsichtiger. Ich machte ein paar Schritte. Kein angenehmes Gefühl, aber wenigstens blieb ich aufrecht.
    Und jetzt? Auf eine Mitfahrgelegenheit konnte man hier vermutlich lang warten. Laufen war auch keine Alternative, mit dem Klumpfuß würde ich nicht weit kommen. Hätte ich bloß ein Handy ...
    Mir stockte der Atem. Aus dem gelben Gras ragte ein grüner Maulwurfshügel. Ein Rucksack! Meiner?
    Ich vergaß den Knöchel und stürzte mit klopfendem Herzen auf das unwirkliche grüne Ding zu, bevor es – nichts schien mir mehr sicher – plötzlich verschwinden würde.
    Geschafft. Gespannt hob ich den Rucksack an den Trägern hoch und drückte ihn an mich. Meine Finger zitterten so stark, dass ich den Verschluss kaum aufbekam.
    Ja, ein Klicken! Ich hielt den Beutel kopfüber und ließ den Inhalt herausfallen. Eine Flasche
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