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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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Prolog
    Leise knarrend öffnete sich die Tür zum Schlafsaal Nummer vier. Ein weißer Keil Morgensonne fiel in den Raum und malte ein spitzes Dreieck auf den schweren Dielenboden. Es roch nach Schweiß, getragenen Socken und verbrauchter, muffiger Luft. Die Fensterläden waren schon lange Zeit nicht mehr geöffnet worden.
    Ein dunkel bekleideter Schatten schlich durch den hell erleuchteten Spalt in den Raum, öffnete einen Kleiderspind nach dem anderen und durchwühlte hektisch alle Taschen und Fächer. Bekleidung, nasse Seifen, Rasierdosen und Trinkflaschen fielen polternd herab, doch davon ließ sich der Suchende nicht stören. Ein verschlossenes Fach wurde flink mit einem mitgebrachten Schraubenzieher aufgebrochen, die darin enthaltenen Papiere und Münzen hastig eingesteckt, die Spindtür dann wieder zugeschlagen. Der Schatten verließ so schnell, wie er gekommen war, den Raum und betrat gleich den nächsten. Auch dort brach er verschiedene Wertfächer auf und bemächtigte sich des Inhalts. Während er einen weiteren Raum durchsuchte, schlich eine zweite Person die Treppe zu den Schlafsälen hoch.
    Die Sonne schien bereits in das verlassene Treppenhaus der Hilfsarbeiterunterkunft. Der scharf umrissene Schatten an der weiß gekalkten Wand der ehemaligen Mannheimer Schule trug einen Helm und ein Gewehr und schlich sich leise an den Tatort heran. Glücklicherweise hatte der Boden unter den schweren Lederstiefeln noch nicht geknarrt, sodass der Suchende seinen Verfolger noch nicht bemerkte. Als der Dieb den fünften Schlafsaal durchsuchen wollte und gerade zu den teilweise unverschlossenen Spinden schlich, tastete von draußen eine behandschuhte Hand durch die halb geöffnete Tür an der Innenwand empor bis zum Lichtschalter, drehte diesen und eine armselige Blechfunzel an der Decke tauchte den Saal mit seinen acht maroden Holzetagenbetten in ein gelbliches Dämmerlicht.
    Über den Stühlen hingen abgewetzte Kleidungsstücke, die Betten waren lieblos zusammengestellt und unordentlich. Grobe, graubraune Wolldecken mit der Aufschrift ›WEHRMACHT‹ lagen vereinzelt darauf. Der Soldat in der Uniform der amerikanischen Militärpolizei fuhr erschrocken herum und sah direkt in den Lauf des im Anschlag gehaltenen Gewehrs eines jungen Captain der US-Armee. Bevor dieser jedoch ein Wort sagen oder schießen konnte, griff sein Gegenüber geistesgegenwärtig nach dem Lauf und riss die Waffe zu sich, an seinem Oberkörper vorbei, in die Luft. Überrascht von der plötzlichen Wendung der Situation, ließ der Offizier das Repetiergewehr los und wurde einen Augenblick später schon von dem zurückschnellenden Kolben in die Magengrube getroffen. Mit einem unterdrückten Schrei und nach Luft japsend, sackte er vornübergebeugt auf seine Knie.
    Während der Einbrecher über den auf dem Fußboden zusammengekrümmten Offizier hinwegsprang und flüchtete, konnte dieser gerade noch nach dessen Gürtel greifen, der unter der übermächtigen Belastung abriss. Die wenigen daran aufgehängten Ausrüstungsteile fielen auf den Boden. Der Dieb riss sich los und konnte unerkannt aus dem Gebäude entkommen.
    Der auf dem Boden liegende Captain verlor vor Schmerzen fast die Besinnung. Für ihn unendliche Minuten später hatte er sich schweißgebadet ein wenig erholt, lag aber noch immer keuchend auf der rechten Seite in der Morgensonne. Vor seinen Augen waren der nur wenige Zentimeter entfernte, staubige Holzdielenboden und ein länglicher Gegenstand, der ihn im Gegenlicht blendete. Vorsichtig griff er nach dem Teil, hielt es hoch und drehte es etwas vor seinen Augen. Es war die zerkratzte Metallhülle eines amerikanischen Bajonetts. Unbedacht hatte der Besitzer seinen Namen darauf eingeritzt.
     
 
›Ich würde lieber eine deutsche Division vor mir haben, als eine französische hinter mir.‹
    (Lieutenant General George S. Patton, 1944)

Kapitel 1
     
    Freitag, 25. Mai 1945.
     
    Nebelfetzen zogen behäbig über den schmalen Kanal, zwischendrin konnte man das hellgrüne Wasser sehen, das endlos langsam dahinfloss, kaum Wellen schlug oder gegen die verrosteten Spundwände gluckste. Einige Hundert Meter entfernt, auf der anderen Seite, befanden sich ein paar heruntergekommene Wohnhäuser mit daran angeschlossenen Gärten, in denen Kirsch- und Apfelbäume standen. Eine Frau war gerade dabei, nasse Wäsche auf ein Seil zu hängen, das sie kurz zuvor zwischen den verwitterten Holzpfosten im Garten gespannt hatte.
    Captain John C. Edwards stellte
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