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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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Ein seltsamer Anruf

    Es gibt Geschichten, die sind es einfach wert, erzählt zu werden.
    Und diese Geschichte ist es vielleicht sogar wert, ein zweites Mal erzählt zu werden.

    Mein Name ist Dodo. Wie der mauretanische Vogel, der nicht richtig fliegen konnte und deshalb ausgestorben ist. Soweit ich weiß, waren meine Eltern nie auf Mauritius, also fragt mich bitte nicht, wie die beiden auf den Namen gekommen sind. Und da wir gerade bei dem Thema sind: Fragt mich bitte auch nicht, wie das genau war in den Gunga-Gunga-Höhlen, als ich einen ausgewachsenen Zlatko-Patko nur mithilfe einer Haarklammer und eines Erdbeerkaugummis zur Strecke gebracht habe. Ich werde das nämlich andauernd gefragt und leider muss ich immer dieselbe Antwort geben: Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich an so vieles nicht mehr und bei den Dingen, an die ich mich erinnere, bin ich mir unsicher, ob ich das tatsächlich erlebt oder vielleicht doch nur geträumt habe. Ich sage euch das lieber gleich, damit ihr wisst, worauf ihr euch einlasst. Nicht, dass ihr später enttäuscht seid.
    Die ganze Geschichte begann in Omis Garten. Genauer gesagt, begann sie mit einem äußerst seltsamen Job-Angebot, das mein komplettes Leben verändern sollte. Ich erinnere mich, wie meine Kniegelenke knackten, als ich mich neben den Benzinrasenmäher hockte. Das heißt, es war ein Freitag. Freitag ist nämlich Rasenmäh-Tag. Wäre ich damit beschäftigt gewesen, den Bürgersteig zu kehren, dann hätte die Geschichte an einem Samstag ihren Anfang genommen. Denn Samstag ist Straßenkehr-Tag. Jeden Tag eine gute Tat. So hat es meine Omi festgelegt. Und dafür gibt es dann fünf Euro.
    Es war also Freitag, die Sonne knallte auf meinen Hinterkopf, und ich kniete neben dem Rasenmäher: einem grünen, stählern glänzenden Monstrum, das vermutlich schon länger als ich bei Omi lebte. Zumindest war es bereits da gewesen, als ich im Alter von fünf Jahren mit klopfendem Herzen das erste Mal das staubige Halbdunkel des Geräteschuppens betreten hatte. Grinsend hatte es in der Ecke gelauert, jederzeit bereit hervorzuspringen und nach mir zu schnappen, sollte ich unvorsichtig genug sein, mich ihm zu nähern. Und ich, ich war weinend davongelaufen und hatte mein Gesicht in die Küchenschürze meiner Omi vergraben.
    Das Verhältnis zwischen dem grünen Ungeheuer und mir hat sich seitdem nicht nennenswert verändert.
    Ich betätigte also die Kaltstartvorrichtung – einen schwarzen Gummiknopf, dessen Form mich jedes Mal an einen Aufsatz für Nuckelflaschen erinnert –, um Benzin in den Vergaser zu pumpen. Fünf bis sieben Mal grub sich mein Daumen in den Nuckelaufsatz – genau so, wie es Betriebsanleitung und Internetforen empfahlen. Anschließend drückte ich den Sicherheitshebel gegen den Metallbügel, holte tief Luft und zog, so fest ich konnte, an dem Starterseil. Das Ungetüm quittierte meine Bemühungen mit einem amüsierten Gurgeln und verstummte.
    Ich wiederholte den Vorgang: Nuckelaufsatz reindrücken, fünf bis sieben Mal, Hebel randrücken, Starterseil ziehen. Das Ergebnis blieb das Gleiche: Kurzes Gurgeln, dann Stille. Ein Schweißtropfen fiel von meiner Stirn und verdampfte auf dem glühendheißen Kopf des Grasfressers. Ich machte dicke Backen und blies warme Luft hinaus.
    Omi, die meine Anstrengungen von der Terrasse aus beobachtete, rief etwas, das ich nicht verstand.
    Ich antwortete aufs Geratewohl: „Ja, Omi, ich pass schon auf die Rosen auf.“
    Sie nickte zufrieden. Ich kenne meine Omi wirklich sehr gut, müsst ihr wissen.
    „Und mäh mir schön ordentlich am Rand entlang!“ Sie hob den Zeigefinger und schüttelt ihn anschließend neben ihrem Ohr, als wäre er ein Überraschungs-Ei. „Das letzte Mal hast du die ganzen Brennnesseln abgeschnitten!“
    „Ja, Omi, mach ich“, rief ich zurück, während ich meine Bemühungen fortsetzte: Nuckelaufsatz, Sicherheitshebel, Startleine. Das grüne Ungeheuer gurgelte vergnügt in der Nachmittagssonne. Anscheinend gefiel es ihm, wie ich seinen Nuckelaufsatz bearbeitete. Gerade als ich mich fragte, ob eine Kaltstartvorrichtung an einem Tag, an dem selbst in den dunkelsten Winkeln unseres Dorfes über dreißig Grad herrschten, möglicherweise völlig nutzlos war, erwachte der stählerne Dämon mit einem Fauchen zum Leben, und ich begann mit meiner Arbeit.
    Schnell füllte sich der grüne Bauch mit streichholzlangen Grashalmen. Die Zähne des Monstrums waren wirklich messerscharf. Trotzdem lief der Schweiß schon nach
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