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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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Haustür trieb und dabei unablässig wiederholte, ich solle nicht trödeln, fühlte ich mich, als wäre ich vor gerade einmal fünf Minuten aus dem Schlaf gerissen worden. Tatsächlich waren es jedoch beinahe acht Minuten gewesen.
    „Das ist dein erstes Vorstellungsgespräch“, sagte Omi, öffnete die Tür und schob mich hinaus ins grelle Sonnenlicht. „Hörst du, Dodo? Da darfst du auf keinen Fall zu spät kommen! Sonst ist gleich der erste Eindruck hinüber.“
    Ich nickte träge, begann dafür aber umso heftiger zu blinzeln.
    „Gewöhn dich schon mal ans frühe Aufstehen!“, riet Omi mir und strich dabei unablässig ihre Schürze glatt. „Wenn du die Anstellung erst mal hast, wirst du das jeden Tag –“
    Sie verstummte abrupt und reckte mir ihren Kopf entgegen. „Was ist das denn?“
    Bevor ich reagieren konnte, schoss ihre Hand empor und schmirgelte mit etwas unglaublich Rauem über mein Kinn. Schleifpapier, dachte ich, extragrob. Instinktiv versuchte ich mich abzuwenden, doch Omis freie Hand ergriff meinen Nacken. „Jetzt stell dich nicht so an! Du hast da was!“ Sie wirkt sehr aufgeregt, also gab ich meinen Widerstand auf. Wahrscheinlich hatte Omi ihren Brennnessel-Tee nicht getrunken.
    Als sie die Sanierungsarbeiten in meinem Gesicht beendet hatte, steckte sie das Schleifpapier, dass frappierende Ähnlichkeit mit einem ausgeblichenen Stofftaschentuch besaß, in die Tasche ihrer Schürze und sagte: „Hab keine Angst, Dodo. Alles wird gut.“
    Ich strich über mein Kinn und blinzelte. „Warum sollte ich denn Angst haben?“
    „Sollst du doch gar nicht.“ Omi lächelte, ihre Wangen zuckten und das Lächeln geriet ins Wanken. Sie vergrub ihre Hände in den Schürzentaschen. „Für heute Nachmittag backe ich uns einen leckeren Kamillenkuchen. Was sagst du dazu?“
    Ich überlegte. „Mit Sahne?“
    „Mit Sahne!“ Diesmal blieb das Lächeln länger. „Aber los jetzt! Sonst kommst du tatsächlich noch zu spät!“
    Ich schirmte meine Augen ab und stieg vorsichtig die drei kleinen Stufen zum Bürgersteig hinunter. Am Ende der Straße thronte gelb glühend die Sonne. Alles sah aus wie immer. Nur greller.
    „Dodo?“, sagte Omi, und ich drehte mich um.
    „Ich hab dich lieb, Dodo.“
    „Ich hab dich auch lieb, Omi.“

    Die Telefonzelle befand sich ein gutes Stück außerhalb des Dorfes. Sie war schon von weitem zu sehen, denn inmitten der grün-braunen Felder handelte es sich bei ihr um das einzige Objekt, welches höher als eine Spargelstange war. Direkt neben der Telefonzelle traf die zweispurige Hauptstraße mit den Eisenbahnschienen aufeinander, was dem Ort eine besondere Bedeutung verlieh. Davon abgesehen war aber nicht viel los.
    Als ich das gelbe Häuschen erreichte, ertönte ein lautes Bimmeln und die Schranken am Bahnübergang schlossen sich. Gemächlich schnaufend zog der Vier-nach-Zehn-Zug vorbei. Ich besaß keine Armbanduhr und auch keine Handy, doch selbst wenn der Vier-nach-zehn wie gewöhnlich eine halbe Stunde zu spät kam, stand außer Frage, dass ich entschieden zu früh war. Ratlos sah ich mich um, sah die Straße hinunter, sah die riesigen Strommasten in der Ferne und einen müde dahinkriechenden Traktor, sah die Spargelfelder, sah zum Dorf hinüber, zu den vielen Spitzdachhäuser und zum Kirchturm und kam zu dem Schluss, dass es hier rein gar nichts zu sehen gab. Völlig ausgelaugt vom vielen Gucken setzte ich mich in den Schatten der Telefonzelle und schloss die Augen.
    Ich muss wohl eingedöst sein. Ich weiß nur, dass mich ein Klingeln weckte, ich aufsprang und wie ein kopfloses Hühnchen um das gelbe Häuschen herumlief, bevor mein schlaftrunkener Verstand begriff, dass das Klingeln aus dem Inneren kam, und ich die Tür aufriss.
    „Hallo?“, pfiff es aus meinen Lungen, als ich den Hörer abhob. Die Temperaturen in der Kabine waren saunaartig, die Luft klebrig wie Zuckerwatte, ohne jedoch dessen Geschmack zu besitzen.
    „Hallo Dodo“, sagte die Stimme, die wahrscheinlich zu dem großen, schweren Mann in dem alten Ohrensessel gehörte. „Schön, dass du gekommen bist. Endlich können wir uns mal ganz in Ruhe unterhalten.“ Er klang ehrlich erfreut. „Hast du Lust auf ein kleines Abenteuer?“
    Ich atmete muffig-heiße Süßwaren, schwitzte aus allen mir zur Verfügung stehenden Poren und dachte über die Frage nach. „Ist Ihnen etwas dazwischengekommen?“, fragte ich schließlich meinerseits.
    „Wie meinst du das?“
    „Ist Ihnen etwas dazwischengekommen?“,
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