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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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hätte ich ihren Abend ruiniert, werden morgen nicht mehr an mich denken. Sie leben in einer Welt, in der ich keine Spuren hinterlasse.
    Um elf sind Blaums Kollegen und Bekannte wieder aus dem Haus, die einen tingeln weiter in die Bars und Diskotheken der Stadt, die anderen gehen heim zu ihren Kindern. Blaum räumt die Gläser weg und stellt sich in die Küche. Wie immer, wenn ein Mann kocht, werde ich sehr anschmiegsam.
    »Du hast dich gut geschlagen«, bemerkt er.
    Mitten in der Nacht begleitet mich Blaum nach Hause, will mein Zimmer in der Wohngemeinschaft sehen. Der Anzugträger macht die Runde zwischen bunt behängten Kleiderbügeln, Postkartencollagen und Gitarren, er bewegt sich zwischen meinen Dingen wie ein interessierter Museumsbesucher. Dass er selbst der größte Dinosaurier in dieser Ausstellung ist, weiß er nicht. Im Club der Sonderlinge weiß niemand von der eigenen Mitgliedschaft. Willkommen, denke ich.
    Morgens um fünf wache ich auf. Ein blasser Mond häkelt mir Dunstspitzen vors Fenster. Ich kann nicht mehr einschlafen, in meiner Wirbelsäule läuft ein Kribbeln auf und ab. Der Mann neben mir atmet schwer, und immer wenn er ausatmet, verstärkt sich das Kribbeln. Ich achte darauf, wenigstens nicht angeatmet zu werden. Wenn ich mich bewege, vermeide ich peinlichst, seine warmgeschlafene Haut zu berühren. Nicht mit den Knien, nicht mit den Schultern, nicht mit den Zehenspitzen. Mein Herz beginnt wie wild zu klopfen. Ich wecke Blaum. Er wirkt vernebelt und verstimmt. Ich gebe trotzdem keine Ruhe, bis er seine nackten Füße auf den Boden hievt, seinen Anzug anzieht und nach Hause geht. Sobald die Tür hinter ihm zufällt, beruhigt sich mein Puls. Der Mond macht ein paar Luftmaschen. Ich gleite zurück ins Bett.
    Ich schlafe nicht sofort ein. Springe sogar noch mal auf, schließe meine Tür ab, stecke das Telefon aus. Die Mondgöttin nickt gefällig. Und während ich in die Kissen abtauche, während meine Gedanken wie von hohen Klippen ins Traummeer stürzen, durchschaue ich den Plan der Götter. Sie lassen zu, dass ich mich verliebe. Sie wissen nämlich, dass ich keinem Mann gehören kann. Sie kennen mich. Es ist kein Problem, ein paar Tage, ein paar Nächte mit mir zu verbringen, kein Problem, mir Weinkarten vorzulesen und Cocktailpartypaar mit mir zu spielen. Aber danach muss ich andere Wege gehen. Danach muss ich allein sein, um nicht verrückt zu werden. Sie müssen mich nicht festhalten. Ich falle von allein zurück in die Hände des Götterpacks. Wahrscheinlich ist das ständige Verliebtsein sogar eins ihrer Geschenke an mich, eine dieser Gaben, dieser giftgrünen Phiolen. Deren Inhalt sie mir einflößen, um mich zu necken, in Bewegung zu halten. Um ihr Püppchen tanzen zu sehen.
    Auch dieser Gedanke fällt von den Klippen. Der Mond häkelt jetzt Muschelmuster, nimmt zu, nimmt ab, ich atme tief, verteile meine Gliedmaßen übers Bett. Ich werde schlafen wie ein Seestern, wie eine Wanderdüne.

Schwarze Butter
    Sie vergöttern mich. Halblaute Rufe hallen auf die Bühne. Heirate mich, schreit einer. Er muss betrunken sein. Meine Hand liegt neben mir, streicht über den Samt, der meinen Hocker überzieht. Wenn die Scheinwerfer angehen, wird es leise, und ich vergesse den Samt. Die Stille wartet auf ein Wort, auf einen kleinen Triller der Stimme, auf den nächsten Ton, das ist mein Leben.
    Ich habe längst begriffen, dass ihre Begeisterung nichts mit meiner Person zu tun hat. Ich könnte irgendwer sein. Es spielt keine Rolle, ob mein Haar schwarz ist, meine Stiefel rot sind oder umgekehrt. Es spielt keine Rolle, dass ich gern Automatenkaffee trinke, in der Goldlaube wohne oder dass ich mondsüchtig bin. Was einzig zählt, ist, dass ich hier bin. Die Musik ist Musik, die Zeit ist Zeit, während ich spiele.
    Alles schweigt. Ich nehme das Lampenfieber in den Mund. Es schmeckt nach Litschi und Salz, ein Lutscher von süßer Penetranz. Meine Zunge wird schüchtern und übermütig zugleich. Auf ihr sind plötzlich Worte. Die sage ich. Mikroverstärkt fallen sie in den Raum. Die Stille fliegt auf, ein erschreckter Vogel. Ich lächle. Einer im Publikum antwortet, aber ich bemerke ihn kaum, verstehe ihn nicht. Die Stille bleibt im Deckengebälk sitzen.
    Ich beginne zu spielen. Meine Gitarre hat den schwarzen Glanz von Särgen und Klavieren. Nur die Wirbel sind weiß wie Zähne. Manchmal lackiere ich meine Fingernägel genauso schwarz. Oder stahlblau oder blutorangenrot. Feiner Nitrolack, der langsam, beim
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