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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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aus.
    Wir rauchen. Wir trinken.
    Plötzlich fängt Borg an, sein bekleckertes Arbeitshemd auszuziehen. Ich sehe ihn fragend an. Er sagt nichts. Er legt das Hemd in meinen Schoß.
    Als Kind klaute ich immer die Hemden meines Vaters. Wenn er nach Hause kam, warf er seine Bürokleidung über einen Stuhl in der Waschküche. Dort fischte ich sein Hemd weg und verbrachte den Rest des Abends darin. Ich erinnere mich gut an den kräftigen, beruhigenden Geruch seiner Hemden. Als kleines Gespenst schleifte ich die Säume über den Boden.
    Ich schlüpfe in Borgs Hemd. Es riecht anders. Aber auch gut.
    »Schau mal«, er nimmt eine Kerze und führt die Flamme nur wenige Millimeter über seine Haut. Er beträufelt sich mit dem roten Kerzenwachs. Seine Arme bekommen eine Gänsehaut. Aus den Tropfen formen sich Muster, die sich verdichten, bis sie wie Wunden aussehen. Er verteilt das Wachs bis nah an sein Schlüsselbein. Als die Arme von einer festen Kruste überzogen sind, fallen Tropfen auf seine Brust. Als die Kerze ganz kurz geworden ist, nimmt er eine neue. Ich sehe still zu, bin nur Auge, nur Spiegel. Bin der Blick, den Borg gesucht hat. Ich habe ihn noch nie so konzentriert gesehen und finde ihn seltsam und schön in seiner Besessenheit. Er schließt die Augen und macht immer weiter.
    Ich lege meine Hand unter die Kerze. Auf dem Handrücken kann ich die Hitze ertragen. Borg legt sich auf den Rücken und führt die Kerze wie bei einem Ritual über den Bauch. Seine Bewegungen sind ruhig, er presst die Lippen zusammen, um kein Geräusch zu machen.
    Ich darf ihm das Wachs abziehen, später, als die dritte Kerze verbraucht ist. An vielen Stellen ist es noch warm, ich mag das weiche Gefühl. Er verzieht die Mundwinkel, weil ich ihm Körperhaar mit abreiße. Dazwischen lacht er. Das Kerzenlicht spielt auf seiner breiten Stirn. Sogar dort klebt Wachs. Als ich es löse, hält Borg meinen Kopf fest.
    »Danke«, sagt er.
    Er sieht glücklich aus. Seine Augen glitzern, seine Haut schimmert rosa.
    »Mit den anderen hätte ich das nicht machen können«, sagt er.
    Ich lächle zurück und reiße absichtlich hart an einer Wachsplatte auf seiner Brust.

Schmetterlinge
    Es regnet. Ich stehe im Ausgang zur Dachterrasse und starre die kleinen Explosionen an, mit denen die Tropfen zerplatzen. Übers Nachbarhaus huscht eine nasse Katze. Sie bemerkt mich nicht. Um meine Schultern baumelt ein bunter Vorhang aus glitzernden Plastikperlen. Als es fast zu spät ist, schlüpfe ich ins Bad und tupfe holunderfarbene Schatten auf meine Lider. Unten hupt ein Wagen. Ich komme schon. Die Perlen klimpern gegen das Glas der Terrassentür.
    Ich bin etwas benommen, während die Mikrofone eingestellt, die Instrumente gestimmt, meine Wassergläser platziert werden. Beim Spielen nimmt die Benommenheit zu. Der Mann mit dem Bass macht trotzdem kleine Feuerwerke aus allem, was ich tue. Heirate mich, schreit jemand. Wieder ein Betrunkener. Oder ich habe mich verhört. Nach dem Konzert bin ich müde und seltsam aufgebracht. Eine virtuelle Grille zirpt in meinem Ohr.
    Nachdem der Bassmann und ich uns in einem Hinterzimmer auf einer Insel aus zerschlissenen Orientteppichen niedergelassen, eine Flasche Madeira bis zur Mitte ihres Etiketts geleert haben, lachen wir, und die Grille gibt endlich Ruhe. Anschließend fahren wir zu Borgs Tonstudio, das sich in einem Backsteingebäude am Stadtrand befindet. Der Bassmann lässt mich aussteigen. Ich sage danke. Ob er nicht mitkommen wolle. Er sagt nein, Schlaf sei jetzt wichtiger. Ich beobachte, wie die Rücklichter seiner Kleinbuskarosse im Regen verschwinden.
    Im Erdgeschoss der Backsteinhalle brennt Licht. Ich schlüpfe hinein. Borg sitzt mit einem Kollegen vor einem Bildschirm, sie beugen sich über Mischpulte, handschriftliche Zettel. Hinter der großen Glasscheibe, im Aufnahmeraum, packt eine dreiköpfige Band ihre Instrumente zusammen. Borg nimmt die Kopfhörer ab, als er mich kommen sieht. Sein Kollege nickt mir einen Gruß zu.
    »Ich will tanzen«, sage ich.
    Wir haben zwei Tempel, wie Borg sie nennt, das Mokusei und den Fairy Club. Das Mokusei ist weiß und sehr modern, hat Jasmintee, Litschilimonade und das beste Sushi der Stadt. Außerdem kann man aus zwanzig Sorten japanischer Alkopops aussuchen, bunte Chuhai in noch bunteren Dosen, die aufgereiht in einem Kühlregal stehen, auf dem ein goldener Buddha sitzt. Getanzt wird dort allerdings nur mittwochs und donnerstags.
    Der Fairy Club wirkt muffig und barock dagegen. Von
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