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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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auf Pfirsichrot. Dich kann ich fragen. Ich gehe hinüber. Ich sage nicht hallo.
    »Sind das Pornos an der Wand?«
    Du blinzelst, trinkst einen Schluck aus deinem Getränk und sagst dann zögerlich nein. Dass ich zu oft Fight Club gesehen habe, sagst du. Ich habe Fight Club gelesen, sage ich.
    Dir gegenüber sitzt ein junger Mann. Ich mustere ihn. Sein Haar sieht farblos aus, fast transparent, eine verwaschene Plastiktüte, und fluoresziert ein bisschen rosa. Er mustert zurück, jetzt sage ich hallo. Er versucht, begrüßend mit dem Kopf zu nicken, und schneidet ungewollt Grimassen. In seiner Stimme höre ich mindestens vier starke Cocktails. Die Flecken in seinem Gesicht bewegen sich. Er fordert mich auf, Platz zu nehmen.
    Ich erfahre seinen Namen, Peer. Zu deinem Namen, denke ich, passt das gut. Fender und Peer. Klingt wie Feder, Rebenlese, Beerengelee oder Meer. Eine schlichte Wortspielerei macht mich manchmal glücklich.
    »Darf ich?«, frage ich Peer und deute auf die Zitrone an seinem Glas.
    Er zuckt mit den Schultern. Ich löse die Frucht und beginne sie zu lutschen.
    »Und wer bist du?«, will Peer wissen.
    »Das Mädchen, das Zitronenschalen im Aschenbecher hinterlässt statt Kippen«, sage ich.
    Du lächelst verhalten. Peer hingegen scheint mein Zitronenschalensatz schlagartig überzeugt zu haben, dass ich die Rettung seines Abends bin. Er rückt ein Stück näher und drängt mir seine Lebensgeschichte auf. Es geht um Taxenstände, Wintergärten, Fahrstühle und gescheiterte Beziehungen. Peer arbeitet in einem der großen Hotels. Er sei Einzelgänger, sagt er.
    Wieder einer der Sonderlinge. Entweder ziehe ich diese Menschen magisch an, denke ich, oder meine Generation ist durchsetzt von ihnen. Von liebenswerten Mottenfängern, die keine Freunde haben, sich die Sinnfrage mindestens einmal wöchentlich wie eine Pistole auf die Brust setzen und betonen, schon ihre Schulzeit als Außenseiter gefristet zu haben. Einsame Wölfe, und sie alle erzählen mir ihre Geschichte. Dass es im Grunde immer dieselbe Geschichte ist, blende ich aus. Ich höre mir jede Geschichte mit demselben Hunger an, wie kleine Kinder ihre Lieblingsgeschichte tausendmal anhören und ihrer doch nie müde werden.
    Irgendwann habe ich beschlossen, diese Menschen zu sammeln. Ich höre ihnen zu. Ich schreibe ihnen Briefe. Manchmal schreibe ich Lieder über sie. Manchmal verliebe ich mich in einen der Wölfe. Manchmal gehen sie mir auf die Nerven. Ich sage Peer nichts von dem Gnadenhof für Sonderlinge in meinem Kopf. Ich sage keinem etwas.
    Ich tausche Blicke mit dir. Nur kleine Fragen lassen Peer immer neue Kapitel seines Lebens aufschlagen. Die Leute erzählen mir viel zu viel. Ich kann mir vorstellen, wie sich ihre Körper von innen anfühlen, so viel erzählen sie mir. Sie kriechen in meinem Blut herum, bis ihre Wünsche meine Wünsche werden, und das ekelt mich an. Dann denke ich, dass ich lieber nicht unter Leute gehen sollte. Es reicht, nur ein Gesicht zu sehen und ich kenne das Gefühl dahinter. Als Peer fertig ist, schweben seine fleckigen Wangen nur noch wenige Zentimeter vor meiner Nase.
    »Dein Haar«, sagt er, »ist rot wie eine Koralle in dem Licht«, und greift nach einer Strähne.
    Ich nehme sie ihm weg.
    »Tschuldige«, murmelt er.
    Er schweigt, und wir sehen den Tanzenden zu. Manche halten sich an ihren Gläsern fest. Ein neues Stück beginnt, und ich mag es. Bis nachher, sage ich beim Aufstehen. Peer wirft mir eine schwache Kusshand hinterher. Ich falle in die Musik.
    Als ich zum Tisch zurückkomme, schlagen Windmühlen in meinem Kopf, weht ein süßer Wind darin. Du bist allein. Dein Blick ist fragend und herrisch zugleich.
    Es ist nicht die feine englische Art, einfach zu verschwinden. Trotzdem sagst du: Los. Offensichtlich hat Peer ein Rendezvous mit Peter Pan. Ich sage: Okay. Als wir die Bar durchqueren, sage ich: Moment. Ich suche Borg. Er hat sich nicht vom Fleck bewegt. Er hält eins der Serviettenschiffchen des Schriftstellers in der Hand.
    »Bring die Gitarren heil nach Hause«, rufe ich ihm zu, »ich gehe heute zu Fuß.«
    Borg nickt. Wahrscheinlich sieht er dich auf mich warten. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, küsse ihn auf die Backe.
    Durch die aufgestoßene Tür folge ich dir. Feuchte Nachtluft strömt in meine Lungen. Wir gehen blind in eine Richtung. Keiner fragt wohin. Grüne Kiesel und Glasgranulat knirschen unter meinen Schuhen. Ich mag die Kristallstreusel, die beim Zerbrechen von Sicherheitsglas
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