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10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)

10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)

Titel: 10 Ein Tanz mit Drachen (alte Übersetzung)
Autoren: George R. R. Martin
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Der Beobachter
    »Schauen wir uns diesen Kopf einmal an«, befahl sein Fürst.
    Areo Hotah strich mit der Hand über den glatten Schaft seiner Langaxt, seines Weibes aus Esche und Eisen, und er beobachtete. Er beobachtete den weißen Ritter Ser Balon Swann und die anderen, die mit ihm gekommen waren. Er beobachtete die Sandschlangen, von denen jede an einem anderen Tisch saß. Er beobachtete die Lords und Ladys, die Diener, den alten blinden Seneschall und den jungen Maester Myles mit dem Seidenbart und dem diensteifrigen Lächeln. Während er halb im Licht und halb im Schatten stand, sah er sie alle. Diene. Beschütze. Gehorche. Das war seine Aufgabe.
    Die anderen hatten alle nur Augen für die Truhe aus geschnitztem Ebenholz mit Beschlägen und Angeln aus Silber. Eine wunderschöne Kiste ohne Zweifel, doch viele derjenigen, die hier im Alten Palast von Sunspear versammelt waren, würden vielleicht schon bald tot sein, je nachdem, was sich in der Truhe befand.
    Maester Caleotte durchquerte auf wispernden Sohlen die Halle zu Ser Balon Swann. In seiner neuen Robe mit ihren breiten Bändern in Mausgrau und Walnussbraun und schmalen Streifen in Rot sah der kleine, runde Mann elegant aus. Mit einer Verneigung nahm er die Truhe aus den Händen des weißen Ritters entgegen und trug sie hinauf auf das Podest, wo Doran Martell in seinem rollenden Stuhl zwischen seiner Tochter Arianne und Ellaria saß, der geliebten Mätresse seines toten Bruders. Hundert Duftkerzen erfüllten die Luft mit ihrem Wohlgeruch. Edelsteine glitzerten an den Fingern der Lords und den Gürteln und Haarnetzen der Ladys. Areo Hotah hatte seinen Harnisch aus Kupferschuppen spiegelblank poliert, damit er ebenfalls im Kerzenlicht blitzte.
    Stille hatte sich in der Halle ausgebreitet. Dorne hält den Atem an. Maester Caleotte stellte die Kiste neben Fürst Dorans Stuhl auf den Boden. Mit den sonst so sicheren und geschickten Fingern fummelte der Maester ungeschickt am Verschluss herum, öffnete den Deckel und enthüllte den Schädel im Inneren. Hotah hörte, wie sich jemand räusperte. Eine der Fowler-Zwillinge flüsterte der anderen etwas zu. Ellaria Sand hatte die Augen geschlossen und murmelte ein Gebet.
    Ser Balon Swann war angespannt wie ein durchgezogener Bogen, fiel dem Hauptmann der Wache auf. Dieser neue weiße Ritter war weder so groß noch so hübsch wie der alte, aber er hatte eine breitere Brust, war stämmiger und an den Armen dick mit Muskeln bepackt. Der schneeweiße Mantel wurde am Hals von einer silbernen Fibel mit zwei Schwänen darauf gehalten. Der eine Schwan war aus Elfenbein, der andere aus Onyx, und für Areo Hotah sah es aus, als würden sie gegeneinander kämpfen. Auch der Mann, der sie trug, wirkte wie ein Kämpfer. Dieser wird nicht so leicht sterben wie der andere. Er wird mir nicht in die Axt rennen wie Ser Arys, sondern hinter seinem Schild stehen und warten, bis ich angreife. Falls es dazu kommen sollte, war Hotah bereit. Seine Langaxt war so scharf, dass er sich damit rasieren konnte.
    Er gestattete sich einen kurzen Blick auf die Truhe. Der Schädel ruhte auf einem Bett aus schwarzem Filz und grinste. Alle Schädel grinsten, aber dieser erschien fröhlicher als die meisten anderen. Und größer. Der Hauptmann der Wache hatte noch nie einen so großen Schädel gesehen. Die Stirn war breit und ausgeprägt, das Kinn riesig. Im Kerzenlicht leuchtete der Knochen so weiß wie Ser Balons Mantel. »Stellt ihn auf den Sockel«, befahl der Fürst. Tränen glitzerten in seinen Augen.
    Der Sockel war eine Säule aus schwarzem Marmor, die einen Meter h öher war als Maester Caleotte. Der dicke, kleine Maester hüpfte auf den Zehenspitzen, reichte aber trotzdem nicht hinauf. Areo Hotah wollte gerade aufstehen und ihm helfen, doch Obara Sand war schneller. Selbst ohne ihre Peitsche und ihren Schild strahlte sie männliche Angriffslust aus. Anstelle eines Kleides trug sie Männerhosen und eine Tunika aus Leinen, die bis zu den Waden reichte und an der Taille von einem Gürtel aus Kupfersonnen gehalten wurde. Ihr braunes Haar hatte sie hinter dem Kopf zu einem Knoten gebunden. Sie riss dem Maester den Schädel aus den weichen, rosa Händen und stellte ihn auf die Marmorsäule.
    »Der Berg reitet nicht mehr«, sagte der Fürst feierlich.
    »Ist er langsam und qualvoll gestorben, Ser Balon?«, fragte Tyene Sand in einem Ton, in dem sich eine Jungfrau erkundigen mochte, ob sie ein hübsches Kleid trug.
    »Er hat tagelang geschrien, Mylady«,
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