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Die Blume der Diener

Die Blume der Diener

Titel: Die Blume der Diener
Autoren: Delia Sherman
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Einleitung
von Ellen Kushner

    Die erste Veröffentlichung des vorliegenden Romans im Jahre 1989 löste zwiespältige Reaktionen aus. Er war ein von der Herausgeberin Terri Windung handverlesenes Ace Fantasy-Special und wie alle von Terri auserwählten Werke versprach er eine köstliche Mischung aus Alt und Neu, eine Verschmelzung von Tradition und Fortschritt. Dieses Versprechen löste das Buch restlos ein. Hier gab es ein mittelalterliches Land zu entdecken, nicht ganz das England des 13. Jahrhunderts, aber doch ein dichtes Gewebe aus Vergangenheit: wehende Mäntel, der Geruch von zertretenen Kräutern, mitternächtliches Herdfeuer … Und hier gab es alle Zutaten einer großen Romanze: eine ehrliche, hart errungene Liebe, einen edlen Ritter, eine Frau, der großes Unrecht geschehen ist, eine Zauberin, die schreckliche Rache übt, und einen heldenhaften jungen König …
    Doch nichts war wie in anderen Büchern mit ähnlichen Zutaten. Die Frau war nicht schön. Sie wertschätzte Zweckmäßigkeit höher als Heldenhaftigkeit, Wissen höher als Macht. Und die Liebe des jungen Königs gehörte anderen Männern.
    Seltsamerweise war das jedoch nicht der Grund für die zwiespältigen Reaktionen. Die Leser hießen diese Neuerungen sogar willkommen; sie fanden die Verstöße gegen die Regeln im Bronzespiegel aufregend. Einige Leute allerdings verwirrte der Umstand, dass diese Geschichte die Wahrheit erzählte. Wahrheit erwartet man halt nicht in einem Fantasy-Roman.
    In unserem Kulturkreis hören wir immer wieder, dass Fantasy der Erfüllung unserer Sehnsüchte dient. Wir lesen Romane über Könige und Hexen, um der unerbittlichen wirklichen Welt und ihren starren Regeln zu entkommen und ein sicheres Gebiet zu betreten in der behaglichen Gewissheit, dass der große böse Wolf zu den anderen gehört und wir die belagerten kleinen Schweinchen sind – und die Autorin ist die gute Fee, die ihren Zauberstab über die Seiten schwingt und unseren Kürbis in ein kleines Teufelscoupé verwandelt, in dem wir zum Abschlussball fahren können. Dazu dient doch ein Fantasy-Roman, oder etwa nicht?
    Wie bitte?
    Sprechen wir hier über Fantasy oder über einen Disney-Zeichentrickfilm?
    Manchmal ist der Wolf das, was in uns wohnt – und es ist die Aufgabe des Fantasy-Schriftstellers, sich auf die gefährliche Reise zum Bau des Wolfs zu begeben. Er muss sich tief in unsere Träume, unsere Vergangenheit und unsere Geheimnisse eingraben und seine Entdeckungen ans Tageslicht bringen.
    So dringt die beste Fantasy bis auf den Grund der Wirklichkeit vor – was keiner zeitgenössischen Geschichte über kleinbürgerliche Ängste je gelingen wird. Gewisse Leser wissen das und haben es schon immer gewusst. Oscar Wildes ›Märchen‹ wie Der selbstsüchtige Riese sind so schmerzhaft, dass ich ihre Lektüre kaum ertragen kann.
    Also lesen Sie diesen ›Fantasy‹-Roman und ehren Sie ihn als ein großes homosexuelles Werk, das von Grenzüberschreitungen berichtet, von Umkehrungen, von Schmerz bringenden Familien und unausgesprochenen Geheimnissen … und von der triumphalen Verwandlung, die sich einstellen kann, wenn man der Welt einen dicken Kuss auf den Mund drückt. Natürlich ist die Wahrheit schmerzhaft, aber es heißt auch, dass Wahrheit frei macht.
    Nun will ich Ihnen einige von Delia Shermans Geheimnissen verraten. Ich kenne sie, weil ich mit ihr zusammenlebe. Wir wurden zu Freundinnen, nachdem sie mich gebeten hatte, das Manuskript ihres aktuellen Fantasy-Romans zu lesen. Er war ursprünglich eine Novelle und hieß ›The Famous Flower of Servingmen‹. Ihren Ursprung hatte sie in einer britischen Ballade des gleichen Titels – ich zögere, sie eine ›traditionelle‹ Ballade zu nennen, denn eigentlich hat uns die Tradition nur einige fragmentarische Verse über eine junge Frau hinterlassen, deren Mann und Kind ermordet werden, worauf sie sich das Haar kurz schneidet und an den Hof geht, um als Mann verkleidet dem König zu dienen. Schluss, aus, Ende. Ein englischer Sänger namens Martin Carthy hat mit Hilfe seiner umfassenden Kenntnisse der Folk-Tradition die ausgesparten Stellen gefüllt und eine neunminütige Version der vollständigen Ballade aufgenommen. Delia hörte sie und liebte sie sofort. (Die Ballade ist jetzt wieder als CD erhältlich: Wenn Sie Carthys originale Version Shearwater nicht finden können, versuchen Sie es mit der ausgezeichneten Kollektion Troubadors of British Volk, Vol. 1 (Rhino 72160) oder Heart of England: The
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