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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Autoren: Sergej Minajew
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Das Restaurant
    Alles beginnt in Moskau. Ich sitze hier mit Timur, einem guten Bekannten. Genauer gesagt ist er einer von der Sorte guter Bekannter, die man aus purer Gewohnheit gerne »meine Freunde« nennt. Aber natürlich sind es keine Freunde, sondern einfach bloß Leute, die man anruft, wenn man wieder nicht weiß, wie man den Abend rumkriegen soll, und jemanden braucht, mit dem man durch die Kneipen zieht, um ein paar Scheine unters Volk zu bringen.
    Wir sitzen im Café Vogue. Wie jeder in der Moskauer Szene weiß, zeichnet sich das Vogue vor allem durch seine miserable Küche und sein unverschämtes Personal aus. Und man findet nie einen Parkplatz, dafür aber ein permanentes Gedränge und Geschiebe am Tresen. Trotz der ganzen Schweinereien, die über dieses Restaurant verbreitet werden, ist es nach wie vor eines der populärsten Lokale in Moskau. Der Aufenthalt in diesem Laden muss den Leuten irgendeinen speziellen masochistischen Kick bringen, anders ist es nicht zu erklären, dass sie freiwillig all diese Widerwärtigkeiten über sich ergehen lassen. Es ist jedenfalls Fakt, dass dir in der Moskauer Szene ständig irgendwelche Schnullis begegnen, die sich vielleicht als Miguel oder Andy vorstellen und dir wild fuchtelnd vorjammern, wie mies man sie im Vogue behandelt hat. Aber spätestens wenn so ein Typ
mit wichtigem Gesicht erklärt, man habe ihm, nachdem er versuchte, dem Kellner Manieren beizubringen, seine Pinienkerndorade vergiftet, dann weißt du erstens, dass dieser Vollidiot nicht Miguel oder Andy heißt, sondern Mischa oder Andrej, und zweitens, dass er sich diese Schauergeschichten entweder schlicht ausgedacht oder aus irgendeinem albernen Trendmagazin geklaut hat, genau wie seinen bescheuerten Namen. Und noch etwas verstehst du, und eine überwältigende Ehrfurcht ergreift dich – dieselbe Ehrfurcht, die die Indianer beim Anblick der Schiffe der Konquistadoren empfanden, die kamen, um ihr Gold zu klauen. Du verstehst, wie groß der Gastronom Arkadij Nowikow wirklich ist, der für genau diese Leute ein ganzes Imperium von Lokalen aufgebaut hat.
    Wir sitzen also im Vogue, beide schon ziemlich blau. Eben habe ich Timur von meiner Idee erzählt, eine verdreckte, muffige Bierbude aufzumachen, mit gepanschtem Bier, beinhartem Trockenfisch und all den widerwärtigen Sowjetgerüchen nach verschüttetem Alk und Erbrochenem. Eine Art Reanimierung der berüchtigten Freizeitzentren für Sonderschüler und Proleten aus den übelsten Moskauer Randbezirken, wie es sie Mitte der Achtzigerjahre gab. Die Idee ist: Wenn Arkadij Nowikow die Sache aufzieht, werden alle diese lackierten Pisser Wochen im Voraus Tische reservieren lassen, um für die Dissonanz zwischen dem eigenen Maybach und der fetten Bedienung, die in ihrer schmierigen Kittelschürze hinterm Tresen steht und ihnen schimmelige Würstchen vorsetzt, eine Menge Kohle hinzublättern.
    Und der Witz daran ist: Diese schimmeligen Würstchen werden sie tausend Mal mehr euphorisieren als ihre eigenen
superteuren Luxuskarossen. Sie werden sie fressen, in den höchsten Tönen davon schwärmen und sie ihren Freunden empfehlen. Und die Gastronomiekritiker werden sich um die Wette ausschleimen über das »neue Restaurant von Arkadij Nowikow mit dieser hochinteressanten, originellen Herangehensweise an die Zubereitung von Speisen«. Nachdem wir uns auf diesen Erfolg geeinigt haben, tanken wir noch ein paar Whiskey, und anschließend falle ich in meinen traditionellen Zustand der Leere. Dieses Gefühl, wenn der Abend zu Ende ist, wenn einen wieder diese entsetzliche Langeweile packt und man nur noch den einen Wunsch hat: dass der andere endlich die Klappe hält.
    Wie immer in diesen Momenten überkommt dein Gegenüber gerade jetzt das dringende Bedürfnis, dir etwas total Wichtiges mitzuteilen. Timur beugt sich so dicht an mein Ohr, dass ich den intensiven Geruch nach Alkohol, Pasta mit Tomatensoße und Zigarettenrauch genießen darf, der seinem offenen Mund entströmt – scharf gewürzt mit einer üblen Note Karies. Ich versuche, ein wenig Abstand zu nehmen, aber dieser besoffene Blödmann rückt noch näher, und dann macht er mir – mit einem verschwörerischen Flüstern, das man draußen auf der Straße hören kann – das Angebot, in sein neuestes Geschäftsprojekt einzusteigen, das darin besteht, Fische »atlantischer Provenienz« im Moskauer Umland zu züchten. Als mir klar wird, dass ich ihn nicht mehr stoppen kann, tue ich so, als sei ich einfach
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