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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Autoren: Sergej Minajew
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bedenkt, was so eine Affäre mit der eigenen Sekretärin für Probleme mit sich bringen kann. Katjas Ansichten über die diversen Probleme der Gegenwart zeichnen sich durch eine unterirdische Dummheit und provinzielle Borniertheit anderen Meinungen gegenüber aus. Verschiedene Male hat sie mich mit ihren Aussagen zu den Themen gesellschaftlicher Moral, der Institution der Ehe und der Beziehung zwischen den Geschlechtern schlicht vom Hocker gehauen. So kam es, dass wir im zweiten Jahr unserer Zusammenarbeit die Konversation gänzlich einstellten (von Arbeitserfordernissen abgesehen), um zu verhindern, dass entweder ich irgendwann durchdrehe oder sie sich zu Tode schämt. Ich habe mich an sie gewöhnt, so wie man sich an eine klemmende Schublade gewöhnen kann oder an einen wackligen Kleiderständer in der Büroecke.
    Ich begrüße sie (ich kann in verkatertem Zustand extrem höflich sein, dermaßen höflich, dass ich imstande bin, ein und dieselbe Person mehrmals am Tage zu grüßen), bitte um Kaffee und lasse mich in meinen Bürostuhl fallen. Mein Schreibtisch ist wie immer überhäuft mit Papieren, die die Kontinuität des Arbeitsprozesses und meiner Rund-umdie-Uhr-Tätigkeit symbolisieren. Man muss allerdings zugestehen, dass einige dieser Papiere schon wenigstens ein halbes Jahr alt sind. Der Haufen besetzt den rechten Rand
meines ziemlich geräumigen Schreibtisches. Weiterhin befinden sich darauf ein Flachbildschirm, eine Funkmaus und eine Fotografie. Letztere stammt vom jüngsten Jahrestreffen meiner alten Fußballmannschaft bei »Spartak«, in der ich zwischen 1984 und 88 gespielt habe. Außerdem gibt es drei Stöße mit CDs, Sampler von diversen In-Clubs in Moskau, Petersburg und dem restlichen Europa, gesammelte Audiobeweise meiner »Night Fever«-Erlebnisse: von Zeppelin bis Costes. Was sich in den Schreibtischschubladen befindet, kann ich Ihnen leider nicht sagen, weil ich, seitdem ich sie gefüllt habe, nie wieder reingeguckt habe.
    Hinter meinem Rücken befindet sich ein riesiges Fenster mit Blick auf die Uferstraße der Jausa. Vor diesem Fenster sitze ich oft stundenlang, starre nach draußen und sinniere über das Dasein an sich. So auch jetzt. Bei einer Tasse Kaffee schaue ich den Autos zu, die unten auf der Straße vorbeifahren. Nun denn, amigos, ich denke, es ist Zeit, mich mal vorzustellen …
    Ich bin neunundzwanzig Jahre alt. Vier davon habe ich zwischen den Wänden dieses Etablissements verbracht. Mein Dienst für die Firma als kaufmännischer Direktor bringt neben der eigenen Sekretärin einen eigenen Dienstwagen, ein gewichtiges Jahreseinkommen und noch gewichtigere Jahresboni mit sich. Mein Aufgabenbereich ist der »Verkauf und die Vertriebsentwicklung der Gesellschaft«. So jedenfalls steht es in meinem Vertrag. Tatsächlich aber verplempere ich den größten Teil meiner Arbeitszeit damit, meinen Untergebenen Vorträge darüber zu halten, dass sie ihren persönlichen Arbeitseinsatz steigern müssen (ich benutze immer dieselben Phrasen und tausche nur die Markennamen
und die Jahreszahl nach Bedarf aus), und wälze meine eigentliche Arbeit auf andere ab.
    Wissen Sie, was ein kaufmännischer Direktor de facto ist? Er ist eine moderne Art hochbezahlter Prostituierter, die permanent zwischen den Interessen der Unternehmensleitung, mit ihren um ein Vielfaches überzogenen Verkaufsplänen, und den Interessen ihrer Untergebenen herumlaviert, die diese Pläne nicht in die Wirklichkeit umsetzen möchten. Wie es einer anständigen Prostituierten zukommt, wirst du mehrmals am Tag durchgefickt, und deine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, deinen Freier (Boss) möglichst schnell zum Orgasmus zu bringen (wenn es geht unter Vermeidung härterer Gangarten wie SM oder Analsex).
    Die Bandbreite meiner Dienstleistungen ist branchenüblich groß. Sie reicht von »klassisch« (siehe oben) über diverse Rollenspiele (je nach Wunsch des Vorgesetzten: Partner in derselben Fußballmannschaft, Angelfreund, Karaokefan, Literaturliebhaber, gemeinsames Aufsetzen von Businessplänen am Wochenende) sowie alle Arten von Oralsex bis zum speziellen Service für verheiratete Pärchen (wenn die Eigentümer der Holding, die Big Daddys, mit ihren Ehefrauen aus Paris anreisen, in der Regel zweimal im Jahr).
    Die besondere Kunst eines kaufmännischen Direktors besteht darin, freihändig auf der scharfen Schneide des betrieblichen Rasiermessers zu balancieren, dort, wo die Oberen nicht mehr denken wollen und die Unteren per
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