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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Autoren: Sergej Minajew
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definitionem nicht können.
    Den einen sagst du, dass du als kaufmännischer Direktor vor allem und immerzu die wirtschaftlichen Interessen der Firma im Sinn hast, im Unterschied zu deinen Untergebenen,
die nur an ihr Gehalt denken. Den anderen versicherst du, dass du ja selber aus dem Verkauf kommst, also eigentlich einer von ihnen bist, einer, der weiß, wie man Ergebnisse erzielt und wie mühsam die Arbeit da draußen im Feld in Wirklichkeit ist.
    So lebe ich seit vier Jahren. Und alles läuft nach Plan. Nur die Gesichter deiner Untergebenen wechseln so schnell wie die Bilder in einem Kaleidoskop. Bei der Hälfte von ihnen hast du die Namen vergessen, bei der anderen Hälfte hast du sie nie gewusst. Manchmal erreicht deine Abstumpfung ein solches Ausmaß, dass du deine eigene Visitenkarte aus der Tasche holen musst, um nachzusehen, wie dein Laden eigentlich heißt.
    Nachdem ich die Post durchgesehen habe, nachdem ich also die Briefe unserer Kunden und Geschäftspartner an meine Untergebenen weitergereicht habe, gehe ich hinüber in den Raum, in dem die Verkaufsmanager sitzen. Summa summarum sind das die einzigen Menschen in der Firma, die bei mir keinen Brechreiz hervorrufen, wenn ich mit ihnen rede. Die gerechteste Bezahlung, die sich irgendein kapitalistischer Unternehmer jemals ausgedacht hat, ist die prozentuale Provision auf real getätigte Verkäufe, sie ist der beste Indikator für deine Erfolge in der Kunst des Verkaufens. Das kann man nicht mit irgendwelchen mystischen Zauberworten wie Market Research und Field Reports verwischen und verdrehen. Das ist die nackte Wahrheit. Aus diesem Grund sind die Verkäufer die wichtigsten Personen in jedem Handelsunternehmen. Und das Mieseste, was ihre Chefs ihnen antun können, ist, ihnen die Arbeitszeit zu stehlen, zu verplempern und zu vergeuden für blödsinnige
Planungssitzungen, Meetings und Morgenbesprechungen. Der Kampf gegen diese Konferenzitis ist eigentlich das Einzige, dem ich mich wirklich ernsthaft widme. Möglicherweise habe ich ja den Start meiner eigenen Karriere noch lebhaft genug in Erinnerung, die ein einziger Leidensweg unter bornierten Arschlöchern von Vorgesetzten war, die aus den untersten Schichten der sowjetischen Ministerien kamen, nicht den blassesten Dunst von den Mechanismen eines sich rasend schnell verändernden Marktes hatten und einfach immer weiter nach dem System »Lohn, Leistungsprämie, dreizehntes Monatsgehalt« weiterwurstelten. Seitdem versuche ich, diese holzschädelige Bürokratie auszurotten. Wäre ich nicht so faul und unbegabt, hätte ich mit Sicherheit längst eine »Ode an den Handelsvertreter« komponiert und sämtliche Chefs gezwungen, sie auswendig zu lernen, damit sie niemals vergessen, wessen Brot sie essen und wessen Cognac sie trinken.
    Im Vertriebsbüro führt einer der Abteilungsleiter gerade eines dieser Gespräche mit einem seiner Untergebenen. Anders gesagt, er betreibt Marktforschung auf dem Wege der Lektüre von Verkaufsberichten. Von der Prüfung der Marktsituation mittels eigener Feldforschung ist natürlich keine Rede. Das lässt sich ziemlich häufig beobachten: Sobald einer den weichen Sessel eines Abteilungsleiters ergattert hat, verwandelt sich sein Kopf in einen Hintern.
    »In den Tagesberichten gibt es extra eine Spalte MARKT-NEUHEITEN. KONKURRENZ! Seit zwei Monaten lässt du diese Spalte regelmäßig leer. Was soll das?«, wendet er sich an seinen Untergebenen, der von all den dummen Fragen sichtlich ermattet ist.

    »Es gibt nun mal keine neuen Produkte auf dem Markt, die mit unseren konkurrieren, was soll ich also reinschreiben?«
    »Also, äh … egal, schreib halt irgendwas rein. Ist da eine Spalte oder nicht? Also muss man sie auch ausfüllen.«
    Ich erinnere mich an den Fall, als ein ziemlich begabter Verkäufer, dem diese hirnlosen Fragen irgendwann bis zur Halskrause standen, in ebendiese Spalte einen langen Bericht über Erbsen in dreieckigen Dosen schrieb, die plötzlich in den Regalen aufgetaucht wären, mit Etiketten, die unsere Etiketten kopierten. Als sein Vorgesetzter mir diesen Bericht präsentierte – mit einem Gesicht, als stünde uns der Konkurs unmittelbar bevor – und mir irgendein wirres Zeug von regelwidrigen Praktiken unserer Konkurrenten erzählte, schickte ich kurzerhand sämtliche Abteilungsleiter auf die Suche nach einem Beispiel dieser Wunderware. Wie Sie wohl längst ahnen werden, kamen sie unverrichteter Dinge wieder zurück. Mit hängenden Ohren standen sie vor
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