Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
1
    Die Frau zwinkerte mit dem rechten Auge. Einmal, zwei-, drei-, viermal. Kriminalkommissar Erik Winter schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatte das Zwinkern nicht aufgehört, es war wie ein spastisches Zucken, als führte es ein Eigenleben. Winter sah das Augustlicht, das sich in den Augen der Frau spiegelte. Die Sonne schickte ihre Strahlen durch das offene Fenster, und der Nachmittagsverkehr unten auf der Straße drang an sein Ohr; ein Auto fuhr vorbei, in der Ferne ratterte eine Straßenbahn, ein Seevogel schrie. Er hörte Schritte, die Absätze einer Frau auf dem Kopfsteinpflaster. Sie ging rasch, sie hatte ein Ziel.
    Winter betrachtete wieder die Frau, den Fußboden unter ihr. Er war aus Holz. Ein Sonnenstrahl durchschnitt den Boden wie ein Laser. Er schien durch die Wand ins nächste Zimmer zu dringen, vielleicht durch alle Zimmer dieser Etage.
    Die Augenlider der Frau bebten noch einige Male. Nehmt endlich die verdammten Elektroden weg. Wir wissen es jetzt. Er wandte den Blick von der Frau ab und sah, wie die Vorhänge am Fenster sich in einem leichten Luftzug bewegten. Der Wind trug die Gerüche der Stadt herein, nicht nur die Geräusche. Benzinduft, Ölparfüm. Der salzige Hauch des Meeres, er konnte ihn riechen. Plötzlich musste er an das Meer denken, an den Horizont und an das, was dahinter lag. An Reisen, er dachte ans Reisen. Jemand im Zimmer sagte etwas, aber Winter hörte es nicht. Er dachte immer noch an Reisen und daran, dass er sich nun auf eine Reise in das Leben dieser Frau begeben musste. Eine Reise in die Vergangenheit. Er sah sich wieder im Zimmer um. In diesem Zimmer.
    *
    Aus irgendeinem Grund war der Portier in ihr Zimmer gegangen, noch war unklar, warum.
    Er war zu ihr gestürzt.
    Und noch an Ort und Stelle hatte er von seinem Handy aus angerufen.
    Die Zentrale des Landeskriminalamtes hatte einen Krankenwagen und einen Funkstreifenwagen zum Hotel geschickt. Der Streifenwagen war gegen die Fahrtrichtung in die Einbahnstraße eingebogen. In diesem alten Viertel südlich vom Hauptbahnhof waren alle Straßen Einbahnstraßen.
    Der Portier hatte vor der offenen Zimmertür gewartet. Die beiden Polizeiinspektoren, ein Mann und eine Frau, warfen einen Blick auf den Körper. Und mit dünner Stimme hatte der Portier begonnen zu berichten. Dabei war sein Blick durchs Zimmer geschweift, als wäre er dort zu Hause. Die Polizistin, die das Kommando hatte, war rasch hineingegangen und hatte sich neben den Körper gekniet, der ausgestreckt auf dem Boden lag.
    Die Schlinge um den Hals der Frau war immer noch festgezogen. Einen Meter von ihrem Kopf entfernt lag ein umgekippter Stuhl. In ihrem Gesicht, dem gebrochenen Blick war kein Leben. Die Polizistin hatte lange nach einem Puls gesucht, der nicht vorhanden war. Sie sah hoch und musterte die Balken, die sich unter der Decke kreuzten. Es sah merkwürdig aus, mittelalterlich. Das ganze Zimmer wirkte mittelalterlich, wie aus einer anderen Welt oder einem Film. Es war ein ordentliches Zimmer, abgesehen von dem umgekippten Stuhl. Jetzt hörte sie die Sirene des Krankenwagens durch das offene Fenster, zuerst entfernt und dann laut und brutal, als der Wagen auf der Straße bremste. Aber es war ein sinnloses Geräusch.
    Wieder schaute sie in das Gesicht der Frau, die offenen Augen. Sie betrachtete den Strick, den Stuhl. Die Balken dort oben. Es war eine sehr hohe Decke.
    »Ruf die Spurensicherung an«, sagte sie zu ihrem Kollegen.
    Die Männer von der Spurensicherung waren gekommen. Winter war gekommen. Die Gerichtsmedizinerin war gekommen.
    Jetzt entfernte die Ärztin die beiden Elektroden vom rechten Auge der Frau. Hier gab es nichts mehr, was sie heilen konnte, aber sie konnte feststellen, wie lange die Frau schon tot war. Je weniger weit der Todeszeitpunkt zurücklag, um so intensiver waren die Muskelkontraktionen. Der Todeszeitpunkt, dachte Winter wieder. Ein sonderbares Wort. Und eine sonderbare Methode.
    Die Gerichtsmedizinerin sah Winter an. Sie hieß Pia Fröberg. Seit fast zehn Jahren arbeiteten sie zusammen, aber Winter kam es manchmal doppelt so lange vor. Vielleicht lag das an den Verbrechen. An was auch immer.
    »Sechs bis acht Stunden«, sagte Pia Fröberg.
    Winter nickte. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Es war Viertel vor elf. Die Frau war am frühen Morgen gestorben oder in der späten Nacht, wie man wollte. Draußen war es dunkel gewesen.
    Er schaute sich im Zimmer um. Die drei von der Spurensicherung beschäftigten sich mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher