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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Autoren: Sergej Minajew
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offenbar grundsätzlich keine Autowäsche vor – in Anbetracht der Trockenheit. Irgendwie auch wieder verständlich. Die Zugmaschinen beim Militär werden sowieso nur einmal im Jahr gewaschen, wenn der Generalstab zum Appell kommt.
    Büroklammern, Stifte, Heftklammern und Radiergummis werden nicht nach Bedarf ausgegeben, sondern einmal im Jahr, ebenfalls strikt nach Versorgungsbefehl.
    Wenn du zu einem Hausmeister gehst und nach einem neuen Locher fragst, wirst du zur Antwort bekommen:
    »Was? Wo ist denn Ihr alter Locher geblieben?«
    »Keine Ahnung, irgendjemand hat ihn sich vielleicht ausgeliehen, was weiß ich, er ist jedenfalls weg.«
    »Das gibt’s doch wohl nicht! Wissen Sie überhaupt, was Sie da gemacht haben?!«
    Dann folgt ein halbstündiger Vortrag, in dem einem unmissverständlich klargemacht wird, dass der Verlust eines Bürolochers ein genauso schwerwiegendes Vergehen ist wie beispielsweise der Verlust der Regimentsfahne. Und wegen dieses nichtswürdigen Verbrechens hätte man dich zu anderen Zeiten vors Kriegsgericht gebracht und ohne viel Federlesens
an die Wand gestellt. Und wenn du dir dann diesen ganzen Blödsinn angehört hast, immer in der stillen Hoffnung, anschließend vielleicht doch noch das gewünschte Zeug ausgehändigt zu bekommen, stellt sich heraus, dass es angeblich nicht angeliefert wurde. Mir bricht in solchen Fällen regelmäßig der kalte Schweiß aus:
    »Was soll das heißen, verdammte Scheiße, nicht angeliefert? Wer hat sie nicht angeliefert? Das Weltkomitee zur Lieferung von Lochern? Superlocherman? Oder vielleicht du selber, du verdammter fauler Sack? Anstatt deine Arbeit zu machen, hockst du hier den lieben langen Tag auf deinem breiten Arsch und nummerierst die Büroklammern! Wenn es nach dir ginge, würdest du sämtlichen Angestellten Inventarnummern auf den Rücken pinseln.«
    Wahrscheinlich sind sie allesamt Mitglieder einer Geheimorganisation namens Großrussische Vereinigung der Hausmeister und Bürodienstleister, GVHUBD, deren Ziel lautet: Infiltration aller großen Geschäftsunternehmen mit Angehörigen der Vereinigung. Besetzung aller strategischen Schaltstellen zwecks totaler Zersetzung und vollständiger Lahmlegung der Versorgungswege der betreffenden Betriebe. Allumfassende Herrschaft von Bürokratie und Stumpfsinn, flächendeckende Ausbreitung von Selbstbereicherung durch Diebstahl von Firmeneigentum und Sabotageakten, Wiedereinsetzung der vermoderten Sowjetmentalität sowie die systematische Störung produktiver Arbeitsprozesse. Irgendwann ist es dann so weit. Sämtliche Industriebetriebe werden sich in GROSSE LAGER verwandelt haben: Lebensmittel, alkoholische Getränke, Bürobedarf, Autos, je nach dem ehemaligen Profil der Unternehmen, die von den Mitgliedern der GVHUBD
zerstört wurden. Nach und nach verwandelt sich ganz Russland in ein Königreich der Stabsfeldwebel. Von Murmansk bis Wladiwostok werden per Telegraf und Telefon (das Internet haben sie natürlich abgeschafft, weil es zu modern und vor allem zu schnell ist) idiotische Befehle und Zuteilungsschlüssel hin- und hergeschickt, die von niemand befolgt werden, weil sowieso jeder weiß, dass sie irgendwann wieder außer Kraft gesetzt werden.
    Ich stelle mir lebhaft vor, wie sie am Telefon verhandeln:
    »Grüß dich, Petrowitsch!« (Alle Lagerverwalter heißen natürlich Petrowitsch.)
    »Grüß dich, Petrowitsch. Was ist los?«
    »Hier bei uns in Leningrad erfriert das Volk, wie zu Zeiten der Blockade. Könnte uns dein LAGER vielleicht drei Züge Holz schicken? Sonst müssen wir diesen Winter ein Drittel der Besatzung (das heißt: der Einwohner) als Verluste einkalkulieren.«
    »Wie stellst du dir das vor? Dafür brauche ich einen schriftlichen Versorgungsbefehl aus der Zentrale, von Petrowitsch.«
    »Aber Petrowitsch ist vor zwei Monaten gestorben, ein Nachfolger noch nicht eingesetzt. Woher soll ich jetzt einen Versorgungsbefehl kriegen?«
    »Hör mal, Petrowitsch, das darfst du mich nicht fragen! Ohne Versorgungsbefehl geht’s nun mal nicht. Schick mir einen Versorgungsbefehl, dann kannst du meinetwegen die ganze Taiga abholzen. Ohne geht gar nichts. Das ist gegen die Vorschrift.«
    »Dann müssen wir halt warten, bis der Nachfolger da ist. Vorschrift ist Vorschrift. Und sonst, wie geht’s dir? Deinen Kindern? Der Frau?«

    »Alles im grünen Bereich. Alle gesund und munter. Pass auf dich auf! Vor allem, wenn es so kalt ist. Hast du genug warme Unterhosen?«
    »Da fehlt’s ja gerade. Aber unser
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