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Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller
Autoren: PeP eBooks
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Prolog
    Sie steht in der Küche; hält für einen Augenblick den Atem an.
    Kurz nach fünf Uhr nachmittags. Schon dunkel draußen, und obwohl sie bereits tausendmal am selben Platz gestanden hat - vor ihr das Spülbecken, zur Rechten die Arbeitsplatte, links die Tür zum Flur -, ist etwas anders.
    Vollkommen anders.
    Dieselbe Luft, aber anscheinend schwerer zu atmen. Über ihr dasselbe Licht, aber irgendwie grell und aggressiv. Sogar ihre Haut, nie beachtet, fühlt sich straffer an. Die Kopfhaut beginnt zu jucken, als Schweiß austritt, sie spürt den Druck ihrer Kleider, das Gewicht der Arme, die Spannung, die von den Ringen an den Fingern und der Armbanduhr ausgeht; sie spürt ihre Unterwäsche, ihre Schuhe, ihre Halskette, ihre Bluse.
    Es ist so weit , denkt sie.
    Mein Name ist Catherine. Ich bin neunundvierzig Jahre alt, und es ist so weit .
    Scheiße .
    Sie bewegt sich nach rechts. Streckt die Hand aus, berührt die kühle Oberfläche des Beckenrands. Greift danach, benutzt ihn als Stütze, wendet sich langsam zur Tür um.
    Sie weiß nicht, ob er schon im Haus ist.
    Sie weiß nicht, ob sie stehen bleiben und warten oder ob sie herumgehen soll.
    Sie weiß nicht, was er von ihr erwartet.
    Sie braucht eine ganze Weile für eine Entscheidung, aber als sie getroffen ist, bleibt sie dabei.

    Sie geht quer durch die Küche in das vordere Zimmer des Hauses - sachlich, direkt; sie nimmt eine DVD aus dem Bücherregal an der Wand, die Fernbedienung schon in der Hand, öffnet den Player, legt die Disc ein, schließt den Player, drückt auf Knöpfe, wartet auf den Ton … und dann kommt das Bild, und sie zögert.
    Musik.
    Sie stellt den Ton lauter.
    Musik von Dimitri Tiomkin.
    Ist das Leben nicht schön ?
    Sie erinnert sich an das erste Mal, dass sie den Film gesehen hat. Erinnert sich an jedes Mal, dass sie den Film gesehen hat. Ganze Passagen weiß sie auswendig, Satz für Satz. Wortwörtlich. Wie für einen Test eingepaukt. Erinnert sich an die Menschen, mit denen sie zusammen war, was sie gesagt haben, wer geweint hat und wer nicht. Erinnert sich in einem solchen Moment an so etwas. Hatte gedacht, sie würde sich an die wichtigen Dinge erinnern.
    Scheiße, vielleicht sind das die wichtigen Dinge.
    Das Herz riesengroß in ihrer Brust. So groß wie eine geballte Faust? Sicher nicht. Nicht in ihrem Fall. Das Herz so groß wie zwei geballte Fäuste, so groß wie ein Fußball? So groß wie …
    Wie was ?, denkt sie.
    Wie groß genau?
    Schaut auf den Bildschirm. Hört den Schlag der Glocke, dann die verspielte Melodie der Geigen. Das Schild, auf dem JETZT SIND SIE IN BEDFORD FALLS steht. Das Postkartenidyll einer Straße. Schnee rieselt herab …
    Catherine Sheridan beginnt es zu spüren. Es ist nicht Angst, über ein Gefühl wie Angst ist sie längst hinaus. Es ist nichts unmittelbar Definierbares - wie ein Verlust oder so etwas wie Sehnsucht, etwas wie Wut oder Ärger oder Verbitterung darüber, dass es so enden musste.

    »Ich habe George Bailey alles zu verdanken«, sagt die Stimme aus dem Fernsehgerät. »Heiliger Vater, steh ihm bei. Joseph, Maria und Jesus … steht meinem Freund George Bailey bei …«
    Die Stimme einer Frau: »Steht meinem Sohn George heute Nacht bei.«
    Die Kamera macht einen Schwenk zum Himmel, weg vom Haus, hinauf in den Weltraum.
    Es ist alles, und zugleich ist es nichts. Catherine Sheridan sieht ihr ganzes Leben zusammengeschoben wie eine Ziehharmonika und dann wieder auseinandergezogen, bis jeder Abschnitt klar zu erkennen ist.
    Sie schließt die Augen, schlägt sie wieder auf, sieht Kinder auf Schaufeln Schlitten fahren, die Szene, in der George Harry aus dem eisigen Wasser rettet. Und dabei holt er sich den Virus in sein Ohr, und so verlor er sein Gehör …
    In dem Moment hört Catherine etwas. Sie denkt daran, sich umzudrehen, aber wagt es nicht. Ein plötzlicher Druck tief unten im Bauch. Jetzt will sie sich umdrehen. Will sich umdrehen und ihm in die Augen schauen, aber sie weiß, wenn sie es tut, wird sie schreien und weinen und betteln, dass es auf andere Art passiert, und es ist zu spät, zu spät zurückzugehen … zu spät, weil alles schon passiert ist, alles, was sie getan haben, alles, was sie erfahren haben und die Folgen von allem …
    Und Catherine denkt: Was zum Teufel haben wir uns gedacht? Für wen haben wir uns gehalten? Wer zum Teufel hat uns das Recht gegeben zu tun, was wir getan haben?
    Sie denkt: Wir selbst haben uns das Recht gegeben. Wir haben uns ein Recht angemaßt,
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