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Eine Nacht, Markowitz

Eine Nacht, Markowitz

Titel: Eine Nacht, Markowitz
Autoren: Ayelet Gundar-Goshen
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    J akob Markowitz war nicht hässlich. Was nicht heißen soll, dass er schön gewesen wäre. Kleine Mädchen plärrten bei seinem Anblick nicht los, lächelten ihn aber auch nicht an. Er war, kann man sagen, von brillanter Mittelmäßigkeit. Ja, mehr als das: Jakob Markowitz’ Gesichtszüge waren ausgesprochen nichtssagend. So nichtssagend, dass das Auge kaum darauf verharren konnte, sondern zu anderen Dingen weiterglitt. Zu einem Baum am Straßenrand. Einer Katze in einer Ecke. Um Jakob Markowitz’ langweilige Züge eingehender zu erforschen, waren ungeheure Anstrengungen erforderlich. Der Mensch reißt sich nicht um ungeheure Anstrengungen, und so kam es, dass ihm nur selten jemand lange ins Gesicht sah. Das hatte auch Vorteile. Der Gruppenführer erkannte sie. Er sah Jakob Markowitz genauso lange ins Gesicht, wie er brauchte, und wandte dann den Blick ab. Der Gruppenführer sagte: Du wirst Waffen schmuggeln. Bei so einem Gesicht wird das keinem auffallen. Und er hatte recht. Jakob Markowitz schmuggelte Waffen, vielleicht mehr als jedes andere Mitglied der Irgun, und nie geriet er in die geringste Gefahr, geschnappt zu werden. Der Blick der britischen Soldaten glitt an seinem Gesicht ab wie Öl an der Pistole. Ob die Kameraden der Irgun ihn wegen seines Wagemuts schätzten, wusste er nicht. Nur wenige sprachen ihn an.
    Wenn er nicht gerade Waffen schmuggelte, bestellte er das Feld. Abends saß er hinter seinem Haus und fütterte die Tauben mit Brotresten. Sehr bald versammelte sich dort ein fester Schwarm, der ihm aus den Händen fraß und auf seinen Schultern landete. Hätten die Kinder der Moschawa das Schauspiel gesehen, wären sie in Gelächter ausgebrochen, aber kein Mensch kletterte über die steinerne Einfriedung. Nachts las er Jabotinskys Schriften. Einmal im Monat fuhr er nach Haifa und schlief mit einer Frau gegen Geld. Mal war es dieselbe, mal eine andere. Er vertiefte sich nicht in ihre Gesichtszüge und sie nicht in seine.
    Einen Freund hatte Jakob Markowitz. Seev Feinberg war vor allem Schnauzer. Noch vor den blauen Augen, den dicken Brauen, den scharfen Zähnen. Seev Feinbergs Schnauzer war in der Gegend berühmt, manche meinten, sogar im ganzen Land. Als ein Irgun-Mann von einem Einsatz im Süden zurückkehrte, erzählte er von »einem rotbäckigen Mädel, das fragte, ob der schnauzbärtige Sultan noch bei uns ist«. Alle lachten, aber Seev Feinberg lachte am lautesten. Und wenn er lachte, wippte der Schnauzer über der Oberlippe, schlug Wellen über Wellen, so freudig vibrierend wie sein Besitzer seinerzeit zwischen den Schenkeln des Mädels. Es war klar, dass Seev Feinberg nicht dazu geschaffen war, Waffen zu schmuggeln, weil sein Schnauzbart ihm vorauseilte wie eine Kolonne schwarzer Ausrufezeichen. Man hätte blind und dumm sein müssen, um ihn nicht zu bemerken. Die Briten waren zwar dumm, aber es wäre doch zu optimistisch gewesen, sie dazu noch für blind zu halten. Aber wenn Seev Feinberg auch keine Waffen schmuggeln konnte, so konnte er umso besser Araber in die Flucht schlagen, und das tat er nächtelang rund um den Ort.
    Nur wenige Nächte verbrachte Seev Feinberg allein. Wenn sich herumsprach, dass er den Abend Wachdienst hatte, liefen gleich ein paar Kameraden zusammen. Die einen wollten von den Abenteuern seines Schnauzers zwischen Frauenschenkeln hören, die anderen wollten über die politische Lage und über die verfluchten Deutschen reden, und wieder andere wollten sich nur über die Rinderzucht und das Jäten der Felder und das Ziehen von Weisheitszähnen beraten – einige der Gebiete, auf denen Seev Feinberg sich als Fachmann betrachtete. Auch Mädchen kamen. Seev Feinberg war zwar ein treuer Wächter, den Finger immer am Abzug, aber man muss ja bedenken, dass Gott dem Menschen zehn Finger geschenkt hat, und das nicht umsonst. Der Geruch der Felder nach dem Regen, ein Quäntchen Gefahr (das Rascheln dort – Araber oder Wildschwein?). Das Ächzen und Stöhnen drang manchmal bis an die Häuserwände. Zuweilen gesellte sich Jakob Markowitz zu Seev Feinberg und seinen Kameraden, unterm Arm den zerlesenen Band von Jabotinsky, dem schon Schweißgeruch anhaftete. Seev Feinberg begrüßte ihn freundlich wie jeden anderen. Er war so sehr an menschliche Gesellschaft gewöhnt, dass er gar nicht ungesellig sein konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Nicht mal die Briten verabscheute er wirklich, und tötete er einen Menschen, so tat er es ungern, wenn auch höchst effizient. Das
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