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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz
Autoren: Davic Pfeifer
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da immer noch so. Nach dem Durchlesen der beiden Mails hat er das T-Shirt ein paarmal in die Hand genommen, weil es das Letzte ist, in dem er sie spüren kann. Eine Mail von Ali, eine von Felix. Beide schrieben fast dasselbe. Nadja war endlich reingegangen, in die Angst. Nun gibt es nur noch die Prothese, von der Mert täglich weniger weiß, ob sie noch Ähnlichkeit mit dem Menschen besitzt, den er einmal gekannt und geliebt hat. Nadja ist ja noch in ihm, er träumt von ihr in Technicolor. Von Nachmittagen auf dem Sofa, während draußen die Sonne scheint, von einem Ausflug auf den Dom, von einem Urlaub in Italien. Die Erinnerung ist so lebendig, dass er den Impuls unterdrücken muss, in einen Telefon-Shop zu gehen und Nadja anzurufen. Das geht nicht mehr, nie mehr, das wird ihm jetzt bewusst. Und er wundert sich, dass die Sonne aufgeht, als sei nichts geschehen, und dass der Pfannkuchenjunge Pfannkuchen macht, die Leute sich draußen auf dem Meer an Fallschirmen hinter Booten herziehen lassen und die Mamasan meckert, weil es nicht genug Singha gibt. Dass sich rein gar nichts in der Welt verändert, obwohl sich in ihm alles verschiebt. »So schwer ist das nicht«, hatte Nadja damals gesagt, aber dabei nur von sich gesprochen. Für Mert ist es mehr, als er einstecken kann.
    Nachdem Mert sich geduscht und angezogen hat, tritt er aus der Kabine ins Stadion. Der Hund springt an ihm hoch. Nok ist nach Hause gefahren, auch Mister Sambot entdeckt er nirgendwo. Mert sieht den Helfern zu, die Programmzettel und Flaschen einsammeln. Er blickt in den Ring. Nun versteht er, warum Felix nach seinem letzten Auftritt nie wieder zu einem Boxkampf gegangen ist. Das hier war sein Leben. Man kämpft sich rein, trainiert, um möglichst weit zu kommen, und wenn man gerade denkt, dass alles läuft, realisiert man, wie man schwächer wird. Dann kann man noch eine Weile den Mangel verwalten, die Schwächen kaschieren, aber man bewegt sich bereits wieder Richtung Ausgang. Die Aufregung, die Spannung, das Gefühl, angekommen zu sein, all das wird Mert fehlen. Genau wie Felix wird er sich diese Welt nicht noch mal ansehen, wenn er sie verlassen hat. Er geht am Ring vorbei, berührt das unterste Seil und klopft zum Abschied zweimal auf den Ringboden. Dann schultert er seine Tasche und verlässt das Stadion. Der kleine Ali trabt neben ihm her. Der Hund hat sich die Bangla Road schon einmal hochgeschnüffelt, also bleibt er auf dem Rückweg ruhig und konzentriert sich auf einzelne Gerüche: eine Mülltüte neben einer Garküche, ein Hoteleingang, das Hinterteil einer Hündin, die doppelt so groß ist wie er. Hat den großen Ali auch nie gestört, denkt Mert und muss lächeln.
    Er biegt in die Gasse zur Sunshine Bar ein. Der Hund wirbelt im Kreis wegen des Lärms und der vielen Menschen, dann drückt er sich zitternd an Merts Bein, während sie die letzten Meter bis zur Bar zurücklegen. Es ist nach Mitternacht, die Mädchen sind fleißig, es ist viel Kundschaft da. Die Mamasan begrüßt Mert mit Boxerpose und lacht dazu.
    »You fight?«, fragt sie ihn.
    »I win.«
    Die Mamasan reißt die Hände hoch, stellt Mert ein Singha hin und kümmert sich um Gäste. Ali rollt sich neben Mert ein, der wie immer außen am Tresen sitzt, dort wo sonst keiner sitzen möchte. Gelegentlich hebt Ali den Kopf, stellt die Ohren wie Segel auf, dann legt er ihn wieder ab. Das Manga-Mädchen entdeckt den Hund und fragt mit Fingergesten, ob er zu Mert gehört. Mert nimmt Ali hoch und hält ihn im linken Arm, während er mit dem rechten Arm sein Singha zum Mund führt. Die Mädchen kommen nacheinander an und kraulen Ali den Kopf. Das Manga-Mädchen setzt sich neben Mert, unterhält sich auf Thai mit dem Hund und streicht Mert über die Wange. Als sie hört, dass er heute gewonnen hat, gibt sie ihm einen Kuss auf den Mund. Eine Erinnerung flackert auf.
    Wohin mit den Möbeln, wohin mit der Kleidung, mit dem Geschirr? Mert hat Felix nicht zurückgeschrieben. Es ist ihm egal. Wahrscheinlich liegt sie direkt neben ihrem Vater. Das hätte ihr nicht gefallen, denkt Mert. In Deutschland ist es jetzt achtzehn Uhr, vielleicht sitzen Felix, Ali, Angelika und die Kinder gerade in der Wohnung der Boraus und essen zu Abend.
    Als sie sich zum letzten Mal sahen, irgendwann in dieser endlosen Zeit der drei Tage und Nächte, die sie sich zum Abschied geschenkt hatten, fragte Nadja ihn, warum er sie liebe. Mert schwirrten so viele Gründe durch den Kopf, aber alle hörten sich nach zu
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