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Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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    Selbstmordattentäter sind leicht zu entdecken. Sie senden alle möglichen verräterischen Signale aus. Hauptsächlich aus Nervosität. Logischerweise sind sie alle Anfänger.
    Das defensive Drehbuch schrieb die israelische Spionageabwehr. Sie sagte uns, wonach wir Ausschau halten mussten. Sie benutzte pragmatische Beobachtungen und psychologische Erkenntnisse, um eine Liste mit Verhaltensindikatoren zu erstellen. Vor zwanzig Jahren erhielt ich diese Liste von einem Hauptmann der israelischen Armee. Er schwor darauf. Deshalb schwor auch ich darauf, denn ich war damals für drei Wochen abkommandiert und tat die meiste Zeit Schulter an Schulter mit ihm Dienst: in Israel selbst, in Jerusalem, im Westjordanland, im Libanon, manchmal in Syrien, manchmal in Jordanien, in Bussen, in Geschäften, auf belebten Gehsteigen. Ich ließ den Blick wandern und hakte in Gedanken einen Punkt der Liste nach dem anderen ab.
    Zwanzig Jahre später habe ich die Liste noch immer im Kopf. Und meine Augen bewegen sich noch immer. Reine Gewohnheit. Von einem anderen Haufen habe ich ein weiteres Mantra gelernt: Hinsehen statt sehen, zuhören statt hören. Je mehr man sich engagiert, desto länger lebt man.
    Die Liste ist zwölf Punkte lang, wenn man einen verdächtigen Mann betrachtet, und elf, wenn man eine Frau vor sich hat. Der Unterschied ist die frische Rasur. Selbstmordattentäter nehmen ihren Bart ab. Das macht sie weniger auffällig, weniger verdächtig. Das Ergebnis ist eine hellere untere Gesichtshälfte.
    Aber mich interessierten keine Rasuren.
    Ich arbeitete die Elfpunkteliste ab.
    Ich hatte eine Frau im Blick.
    Ich fuhr mit der New Yorker U-Bahn, war mit dem 6 Train, dem Lokalzug zur Lexington Avenue, stadtauswärts unterwegs, um zwei Uhr morgens. Ich war in der Bleecker Street am Südende des Bahnsteigs in einen Wagen eingestiegen, in dem nur fünf Fahrgäste saßen. U-Bahnwagen kommen einem klein und intim vor, wenn sie voll sind. Sind sie leer, wirken sie riesig und höhlenartig und einsam. Nachts kommt einem ihre Beleuchtung wärmer und heller vor, obwohl es dieselbe wie tagsüber ist. Es gibt nur diese eine Beleuchtung. Ich hatte es mir auf der den Bahnsteigen abgekehrten Seite des Wagens auf dem Zweiersitz nördlich der Endtür bequem gemacht. Die übrigen Fahrgäste saßen südlich von mir auf den langen Sitzbänken: seitlich im Profil zu sehen, weit voneinander entfernt, ausdruckslos quer durch den Wagen starrend, drei links und zwei rechts.
    Der Wagen hatte die Nummer 7622. Ich war im 6 Train einmal acht Haltestellen weit neben einem verrückten Kerl sitzend gefahren, der über den Wagen, in dem wir saßen, mit der gleichen Begeisterung sprach, mit der andere Männer über Sport oder Frauen reden. Deshalb wusste ich, dass Wagen 7622 zur neuesten Modellreihe R142A des New Yorker U-Bahn-Systems gehörte – bei Kawasaki im japanischen Kobe gebaut, nach New York verschifft, zum Rangierbahnhof 207th Street transportiert, mit einem Kran aufs Gleis gesetzt, zur 180th Street geschleppt und dort getestet. Ich wusste, dass er zweihunderttausend Meilen ohne größere Wartung zurücklegen konnte. Ich wusste, dass sein automatisches Ansagesystem für Anweisungen eine Männerstimme und für Informationen eine Frauenstimme benutzte, was angeblich ein Zufall war, aber in Wirklichkeit daher kam, dass die zuständigen Manager diese Arbeitsteilung für psychologisch schlüssig hielten. Ich erkannte die Stimmen, hatte sie in Bloomberg TV gehört – aber schon vor Jahren, bevor Mike Oberbürgermeister wurde. Ich wusste, dass in New York sechshundert Wagen der Baureihe R142A verkehrten und dass jeder etwas über fünfzehn Meter siebzig lang und etwas über zwei Meter vierzig breit war. Ich wusste, dass es in einem Wagen ohne Fahrerstand, in dem ich auch heute wieder saß, vierzig Sitzplätze und maximal hundertachtundvierzig Stehplätze gab. Alle diese Angaben hatte der Verrückte nur so hervorgesprudelt. Selbst sehen konnte ich, dass die Sitze des Wagens aus blauem Kunststoff im gleichen Farbton wie ein Spätherbsthimmel oder eine britische RAF -Uniform waren. Ich konnte sehen, dass seine Wandverkleidung aus einem Glasfasermaterial bestand, das gegen Graffiti resistent war. Ich konnte auch die in zwei langen Streifen angeordnete Werbung am Übergang zwischen Seitenwänden und Dach sehen. Ich konnte all die bunten kleinen Plakate sehen, die für Fernsehshows und Sprachunterricht und mühelose Studienabschlüsse und glänzende
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