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Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)

Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)

Titel: Wie halte ich das nur alles aus?: Fragen Sie Frau Sibylle (German Edition)
Autoren: Sibylle Berg
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    Jetzt werde ich die Welt verbessern!

    Dass Menschen egoistische, gefräßige kleine Dinger sind, die, wenn sie von keiner Erleuchtung heimgesucht werden, nicht einmal über die Gabe verfügen, Großzügigkeit und Nachsicht für sich und ihre Nächsten aufzubringen, ist bekannt. Überraschender dürfte es für die meisten meiner treuen Anhänger sein, dass ich von höherer Stelle mit der Neuordnung der Welt beauftragt wurde. Die da oben, Bilderberg, der Club of Rome, die Logen, wissen nicht mehr weiter. Mit großer Beunruhigung betrachten sie die Auflösung der Welt, wie wir im Westen sie kannten. Die Welt mit Jahreszeiten, geheizten Wohnungen, Bausparverträgen wird gerade zu etwas, was keiner mehr beherrschen kann. Das Spiel ist unklar geworden: Da sind die obszön reichen Milliardäre, die nicht einmal wie in guten alten Zeiten Arbeitsplätze schaffen, um Menschen auszubeuten. Da sind Klimakatastrophen, aussterbende Tierarten, Religionskriege, der Rückzug des Individuums in die Aggression, verschwindende Ressourcen wegen der Übervölkerung, der Lärm nimmt zu und das Wasser wird knapp. Fragen Sie nicht. Ich mache nur meinen Job.
    Die Neuregelung setzt ab nächster Woche ein, ich muss noch ein paar Details abklären. Kraft meines umfassenden Verstandes habe ich bereits einige grundlegende Weltänderungen zu Papier gebracht – das sagt man so, selbst wenn heute kein Papier mehr verwendet wird. Alle Schulden, persönliche und staatliche, werden auf Null gesetzt, das Geld wird neu gedruckt, an Gold und Silber gekoppelt, wie in guten alten Zeiten, und einen Euro gibt es dann auch nicht mehr. Die Börsen werden sofort geschlossen. Aktien entwertet. Alle Regierungen abgesetzt. Jedes Land stellt in Absprache mit mir ein Management zusammen, das ausschließlich aus Fachleuten besteht: Wissenschaftler, Künstler, Ärzte, und die Ämter werden aufgeteilt unter Frauen, Männern, Behinderten, Homosexuellen, ethnischen und religiösen Minderheiten. Faire Sache. Es gibt keine Frauenquote, weil es ja auch keine börsennotierten Unternehmen mehr gibt. Jeder ausländische Anspruch an Bodenschätzen und Grundbesitz in anderen Ländern erlischt. Jedes Land ist ab sofort im Besitz der eignen Ressourcen. Nur ihm gehören Unternehmen, Grund und Gebäude. Banken, grundnahrungsmittelerzeugende Firmen, Transport, Gesundheitswesen und Schulen werden verstaatlicht. Qualifizierte Manager freuen sich über ihre Superjobs in der Verwaltung und über das Entkommen aus der Arbeitslosigkeit durch die geschlossenen Börsen. Es gibt ein Grundeinkommen. Wachstum wird verboten. Wir brauchen kein Wachstum, sondern Ruhe.
    Jedem steht es frei, irgendeiner Religion anzugehören, es ist reine Privatsache. Alle Menschen sind gleich. Jeder kann jeden heiraten, und Kinder können von jedem – nach einer Überprüfung seines Geisteszustandes durch liebevolle Neurologen – erzeugt bzw. adoptiert oder in Pflege genommen werden. Die Mieterschutzgesetze sind überbordend streng. Schädigungen der Umwelt werden mit der Enteignung des betreffenden Unternehmens geahndet. Alle Drogen sind legal, jede Art der Sterbehilfe ist legal. Abtreiben, rauchen oder nicht rauchen, Sport machen oder nicht – jedem steht es frei, zu leben, wie er will.
    Die Menschen und ich, wir sind egoistische, kleine Idioten, aber es ist traurig, sich von der Spezies zu verabschieden, von der Welt zu verabschieden, in der wir doch immer noch an den wenigen warmen Abenden, da die Sonne durch das Blade-Runner-Wetter dringt, in der Abendsonne sitzen und es nach Gras riecht. Und vermutlich gibt es viel gegen mein Grundsatzpapier einzuwenden, weil Sie viel bessere Ideen haben. Aber welche nur?

Warum bringen sich die Leute
    ausgerechnet zwischen den Feiertagen um?

    Jene, die einsam sind oder an unheilbaren Krankheiten leiden und von allen verlassen oder einfach nur müde in ihren Wohnungen sitzen, denken, dass draußen die Welt untergegangen ist, alle geflohen sind. Die Läden sind geschlossen, der Kapitalismus hat Pause, es schneit oder manchmal auch nicht, das ist egal, denn es ist zwischen den Jahren, zwischen den Ritzen, den Stühlen. Ein paar Lichter in den Fenstern sind dunkler als die anderen. Die hellen Räume strahlen, weil in ihnen Menschen streiten und sich verfluchen … die hellen Räume, wo Kinder oder Eltern sind, irgendjemand, den man nach unbedachter Kalorienzufuhr hassen kann. Die anderen, die Müden, sitzen in ihren halbhellen Wohnungen und versuchen sich zu
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