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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz
Autoren: Davic Pfeifer
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hörte sich banal an, wenn das Geträumte beim Erzählen zu einer Beschreibung zusammenschrumpfte. Nadja stellte ihm die richtigen Fragen. »Hast du dich hilflos gefühlt?« – »War es bedrohlich?« Er musste nur noch mit Ja oder Nein antworten.
    Einmal hatte Mert davon geträumt, dass es beim türkischen Gemüsehändler an der Ecke keine Bananen mehr gab. Nadja lachte.
    »Keine Bananen. Im Ernst?«
    »Die kaufe ich da doch immer.«
    »Und der Traum war bedrückend?«
    »Ja.«
    »Und du hast keine Erklärung dafür, warum du so was träumst?«
    »Keinen Schimmer.«
    »Kann es vielleicht daran liegen, dass ich mich beschwert habe, weil du nicht mit mir schlafen willst, wenn du einen Kampf hast?«
    Wie immer, wenn Mert versuchte, sich das Lachen zu verkneifen, verzog sich sein Gesicht, als habe er einen Schluck Apfelessig getrunken. »Man kann sich seine Träume ja nicht aussuchen, oder?«
    Es wurde ein schöner Tag. Mert fühlte sich belohnt, wenn Nadja lachen musste, sogar wenn es auf seine Kosten ging.
    Er nimmt noch einen Schluck Kaffee, knetet weiter seinen Gummiball. Als Erstes spürt er seine rechte Faust, von einem Bruch im Handrücken bei einer Hamburger Meisterschaft. Dann seine Gelenke, die Muskelansätze. Merts Körper erwacht ächzend, etwa eine halbe Stunde nach ihm. Die kurzen Rippen senden einen stechenden Schmerz in die Lunge, die Stelle, an der er beim Sparring vor ein paar Tagen einen Tritt abbekommen hat. Seine Erholungszeiten werden länger. Mit dem Handrücken wischt er sich die Schweißtropfen von der Oberlippe, damit sie ihm nicht den letzten Schluck Kaffee versalzen. Er trinkt aus, stellt die Tasse in der Küche ab und räumt auf. Er besitzt nicht viel, schafft es aber zuverlässig, das wenige in zwei Zimmern zu verstreuen. Er räumt Fotos in das kleine lackierte Kästchen mit den chinesischen Motiven darauf. Das oberste Bild lässt er auf dem Tisch liegen, er will einen Platz dafür finden. Es zeigt ihn und Nadja auf dem Hamburger Dom an einem Schießstand. Ein Fotoschuss, nur zwei Versuche hatte er damals dafür gebraucht. Nadja umarmt ihn dabei von hinten. Ihr Kinn liegt auf seiner Schulter. Sie lächelt und wirkt glücklich. Der Moment liegt so lange zurück und fühlt sich doch an, als seien erst Tage vergangen. Er riecht die Zuckerwatte, spürt die Kälte des Abends von damals.
    Während er das Bild betrachtet, kehrt die Erinnerung an den Traum zurück, wie ein fast vergessenes Lied im Radio, das ein altes Gefühl zum Klingen bringt. Er hat von der Tankstelle geträumt, von der Nacht nach dem Mannschaftswettbewerb in Schwerin. Keine Prüfungen, keine Bananen. Einfach nur die Nacht nach seinem großen Erfolg, die erste Begegnung mit Nadja. Die gute Laune kommt von der Erinnerung an Glück.

2
    Merts Leben begann in dem Moment, als er Nadja begegnete. Mert sagte und tat nichts mehr, ohne es an ihr auszurichten. Er verhielt sich trotz oder wegen ihr. Alles, was er alleine erlebte, war erst von Bedeutung, nachdem er es ihr erzählte. Was Nadja nicht von ihm wusste, würde mit ihm verschwinden.
    Nadjas Schönheit wollte entschlüsselt werden. Ihre Augen standen nah beieinander, meistens blickte sie skeptisch. Sie trug ihre schwarzen Haare kurz geschnitten. Ihre Gesichtszüge sahen aus wie geschnitzt, was sie älter wirken ließ, obwohl sie noch jünger war als Mert. Bei dieser ersten Begegnung fühlte er sich, als habe er einen Schatz entdeckt, der anderen verborgen blieb. Doch das Auffälligste war nicht Nadjas Aussehen, sondern ihre Anwesenheit.
    Sie saß im Bus der Hamburger Boxauswahl, auf dem Weg zu einem Vergleichskampf gegen die Ukraine in Schwerin. Ein Dutzend junger Männer verschiedener Gewichtsklassen verteilte sich im Bus, alle so voller Kraft, dass sie kaum gerade sitzen konnten. Beine hingen über Armlehnen, Köpfe ragten in den Gang.
    Mert hatte verschlafen, nachdem er die halbe Nacht mit seinem Vater gestritten hatte, wegen Geld, das in der Haushaltskasse fehlte. Im Nieselregen war er dem Bus hinterhergesprintet, an der zweiten Ampel hatte er ihn eingeholt. Wasser und Schweiß tropften an ihm herunter, seine Sporttasche schnitt in seine rechte Schulter und verzog seinen Trainingsanzug zu einer betonfarbenen Stoffmasse. Mert war in einem denkbar schlechten Zustand, um seinem Schicksal gegenüberzutreten.
    Ein paar Sekunden stand er im Gang, um wieder zu Atem zu kommen. Einige der Jungs schliefen im Sitzen, die Hauben ihrer Kapuzenpullis tief ins Gesicht gezogen. Andere
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