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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz
Autoren: Davic Pfeifer
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Kampferfahrung gesammelt hatte, tat dasselbe. So zuckten beide in Reichweite, tauschten ihre Schlagfolgen ab und umkreisten sich fast berührungslos.
    Als Mert in seiner Ecke stand, hörte er kaum etwas von Gerschs Anweisungen. Gersch redete energisch auf ihn ein, doch Mert blickte rüber zu seinem Gegner. Er konnte an der Bewegung von Androwitschs Trainer ablesen, dass dem Ukrainer Aufwärtshaken als Mittel gegen Merts Attacken empfohlen wurden. Dann suchte Mert Nadja im Publikum. Sie hatte ein Bein über das andere geschlagen und sich so eingedreht, dass sie den Fuß unterhalb der Wade durchsteckte. Sie sah zu Mert.
    Als Felix nach der ersten Runde seines Kampfes in die Ecke kam, sagte Gersch nur wenig. Er war noch heiser von der Schreierei bei Merts Kampf, und im Gegensatz zu Mert hatte Felix keinen Fehler gemacht. Sein Gegner boxte auf hohem Niveau, es würde nichts bringen, einen Trick auszupacken oder den anderen zu überrumpeln. Es ging darum, eine Millisekunde schneller zu schlagen, sich dem letzten Schlag einer Serie gerade noch zu entziehen. »Ruhig und schnell«, sagte Gersch, »das wird ein ganz knappes Höschen.«
    Mert kümmerte sich nicht um Androwitschs Aufwärtshaken. Er kassierte ein paar Schläge, störte aber die Aktionen seines Gegners. Er unterbrach dessen Takt und zwang ihm seinen Kampfstil auf, unabhängig von dem, was Androwitsch versuchte. Mert vertraute auf seine Härte, seine Geschwindigkeit, fast immer fand er einen Weg, größere und bessere Boxer aus dem Tritt zu bringen. »Stinker« nannten sie Mert beim Verbandstraining deswegen. Das war nicht respektlos gemeint, sondern die übliche Bezeichnung für einen Boxer, der seine Gegner schlecht aussehen lässt.
    Für das durchschnittlich interessierte Publikum wirkte es so, als würde Androwitsch, der physisch im Vorteil war, alles falsch machen. Ein geübter Beobachter konnte erkennen, dass Mert seine Schläge mit Druck aus dem Bein beschleunigte, um sein ganzes Körpergewicht dahinterzusetzen, während sein Gegner in seiner Not lediglich aus der Schulter schlug. Androwitsch kämpfte mit stumpfen Waffen. Ab der zweiten Runde war die Halle auf Merts Seite. Gegen Ende der Runde trieb er Androwitsch in die Ringseile, schlug zwei schnelle Linke und setzte einen rechten Haken nach, der Androwitsch seitlich an der Kinnspitze traf. Androwitschs Unterkiefer sprang aus dem Gelenk und knipste ihn aus. Wie ein Tänzer drehte Mert sich auf dem Fußballen um die eigene Achse zur Seite. Androwitsch nahm nicht mal mehr die Arme hoch und landete mit dem Gesicht voran auf dem Ringboden. Er fiel wie ein Baum an Mert vorbei.
    Jubel hallte von den Wänden wider. Mert wollte in die neutrale Ecke gehen, aber Androwitschs Betreuer sprangen schon durch die Seile. Der Ringrichter machte sich nicht mehr die Mühe, den Niedergeschlagenen anzuzählen. Der Kampf war vorbei. Die Betreuer halfen Androwitsch auf die Beine und stießen unverständliche Flüche aus. Merts rechtes Auge war zugeschwollen und begann lilafarben zu schillern, so als habe er einseitig Lidschatten aufgetragen. Als sein Arm vom Ringrichter in die Höhe gereckt wurde, strahlte Mert wie eine polierte Medaille.
    Im Gegensatz zu Mert musste Felix wenig später über die volle Distanz von drei mal drei Minuten gehen. Er und Lukaschinsky schenkten sich nichts. Es gab Zeitspannen von bis zu zehn Sekunden, in denen sie gar keinen Kontakt hatten, so sehr versuchten beide, die Aktionen des Gegners vorauszuahnen. Felix machte einen Seitschritt, um an Lukaschinskys Führhand vorbeizuschlagen und eine Serie von sechs Schlägen einzuleiten, die in einem rechten Cross enden sollte. Doch Lukaschinsky bewegte sich in dem Moment, in dem er Felix’ Absicht erkannte, ebenfalls zur Seite und unterband die Aktion. Lukaschinsky schlug zwei Führhände, wollte Felix in die Vorwärtsbewegung locken, um ihn mit einer steifen Rechten abzufangen. Doch die Schwäche der Führhand warnte Felix, und er blieb in Distanz. Manchmal starteten beide eine Serie im selben Augenblick, sodass keiner eine Gegenmaßnahme einleiten konnte. Dann prasselten Schläge aufeinander, blieben in der Deckung stecken, wurden pariert oder verfingen sich an der ordnungsgemäß hochgezogenen Schulter. Es glich einer schnellen Partie Schach.
    Für die ehemaligen und aktiven Boxer war es faszinierend zu beobachten, auf welchem technischen und konditionellen Niveau Felix und Lukaschinsky kämpften, doch das restliche Publikum langweilte sich. Nach der
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