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Schlag weiter, Herz

Schlag weiter, Herz

Titel: Schlag weiter, Herz
Autoren: Davic Pfeifer
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hätten die in der Altkleidersammlung gewühlt.« Doch nach einer Weile kam Mert der Gedanke, dass er und Ali mit ihrer olivfarbenen Haut, den schwarzen Haaren und den dunklen Augen auf die Schweriner fremder wirkten als umgekehrt. Ein stark geschminktes Mädchen zwinkerte Mert zu, doch er zwinkerte nicht zurück, aus Sorge, dass Nadja ihn in diesem Moment beobachten könnte. Er behielt das Mädchen trotzdem im Auge.
    Nach dem sechsten Kampf ging Mert in die Umkleidekabine, um sich aufzuwärmen. Felix war bereits da und machte Gymnastik, obwohl er erst nach Mert dran war.
    »Soll ich rausgehen?«, fragte er Mert.
    »Nicht nötig.«
    Mert zog sein Vereinsleibchen an, schnürte seine Schuhe und umwickelte seine Hände mit Bandagen. Gersch sah zwischendurch kurz zu ihm, widmete sich aber hauptsächlich Felix. Mert lockerte sich mit Schattenboxen, kreiste auf den Fußballen. Dann pausierte er einige Sekunden und begann wieder von vorne.
    Endlich schob Gersch seine Hände in zwei Lederpolster, die den Verbandstrainer zierlich wirken ließen. »Hau mal ein bisschen in die Pratzen, dann muss ich Borau vorbereiten.« Mert nahm Abstand ein und schlug locker in die Pratzen, eine Links-rechts-links-Kombination. Gerschs Arm klappte vom Druck der Rechten nach hinten wie eine Gelenkfeder. Felix beobachtete die beiden, während er sich im Spagat dehnte.
    Auf dem Weg in den Ring sah Mert zu der Stelle, an der Nadja die ganze Zeit gesessen hatte. Sie saß immer noch dort und beobachtete seinen Auftritt. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelte.
    Je näher Mert dem Ring kam, umso weniger bekam er von der Welt mit, die sich außenrum drängte. Mert liebte das Gefühl, durch die Seile zu steigen, wenn alles andere unwichtig wurde. Piotr Androwitsch wartete bereits auf ihn, mit der Gleichgültigkeit eines Ambosses. Der Gong war ein lautes Schnarren.
    Die Jugend seines Gegners erwies sich für Mert als Vorteil. Androwitsch konnte seine Masse nicht bändigen. Er bewegte sich, als sei er zu groß für sich selbst, und verhedderte sich mit seinen Armen, wenn Mert ihm den Weg abschnitt. Androwitschs Geraden fühlten sich an, als würde man gegen eine Litfaßsäule laufen. Doch Mert lächelte kurz, als eine Führhand traf. Er mochte die harten Schläge – wenn er einen mit voller Wucht nahm, wusste er, woran er war. Bevor Mert getroffen wurde, war da diese Unsicherheit, nach dem ersten Schlag wurde er ruhiger. Er konnte Androwitschs Schläge aushalten, vielleicht nicht viele, aber genügend, um selbst zurückzuschlagen. Wo auch immer Merts Grenze im Erdulden von Schlägen lag, bei Androwitsch würde er sie nicht kennenlernen. Also freute er sich und lächelte.
    Androwitsch war leicht auszurechnen, da seine Schulter zuckte, bevor er schlug. Nachdem Mert sich darauf eingestellt hatte, tauchte er unter Androwitschs Angriffen durch und entfesselte in der kurzen Distanz Schlagserien, die sein Gegenüber in Bedrängnis brachten. Bevor Mert sich wieder löste, schlug er noch ein oder zwei rechte Seitwärtshaken. Androwitsch überstand die erste Runde, wobei er fast seinen Kopfschutz verlor, hielt aber noch dagegen. Mert wirkte gelassen, als er in seine Ecke ging. Sein rechtes Auge war geschwollen, aber er war zufrieden. Er betrachtete seinen Gegner als Beute, die sich wehrt. Die Deckung war wie ein Panzer, den man aufbrechen musste, um an das weiche Fleisch zu kommen. Und bei Androwitsch hatte er schon ein leichtes Knacken gespürt.
    Die Erfahrung seines Gegners stellte Felix später vor eine fast unlösbare Aufgabe. In der Halle schwang noch die Erregung von Merts Kampf nach. Nun folgte gespannte Stille. Im Gegensatz zu Mert betrachtete Felix die Aktionen seines Gegners als eine Fülle von Variablen, die er mit einer Mischung aus Berechnung und Intuition beherrschen konnte. Er boxte mit der Präzision eines Bombenentschärfers. Kein Schlag war verschwendet. Auf schnellen Füßen hielt er stets den richtigen Abstand zu Vasily Lukaschinsky. Dann glitt er wenige Zentimeter in die Reichweite, schlug eine kontrollierte Serie und schnellte wieder aus der Gefahrenzone. Sein Oberkörper blieb dabei aufrecht, seine Beine machten die Arbeit. Nie schlug Felix die gleiche Kombination zweimal hintereinander. Er beobachtete, was sein Gegner tat, ließ ein paar harmlose Schläge los, um zu prüfen, wie Lukaschinsky sich verhielt, und reagierte dann.
    Doch Lukaschinsky, der eine ähnliche Boxschule durchlaufen hatte, ebenfalls Mitte zwanzig war und ebenso viel
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