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Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
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nach.
    Â»Wie lautet dein richtiger Name?«
    Toms Seufzen hallte von den Containerwänden wider.
    Â»Tom«, sagte er schließlich.
    Â»Tatsächlich einfach nur Tom?«
    Dieser zuckte mit den Achseln.
    Â»Kommt es nicht darauf an, welcher Name das eigene Herz einem gibt?«
    Und Lara McLane erkannte, dass Tom es schon lange auf eine Stufe der Weisheit gebracht hatte, die ihr selbst vermutlich immer verwehrt bleiben würde. Auch wenn selbst Tom noch vieles zu lernen hatte.
    So steuerten sie aus der Containerstadt hinaus auf einen Platz unter einem riesigen Kran zu, auf dem zwei Gestalten in der Abendsonne standen.
    Â»Tomek«, sagte Tom nach einer Weile.
    Â»Tomek?«
    Tom nickte. »Tomek Leonard Truska. So steht es in der Geburtsurkunde.«
    Â»Das ist ein schöner Name«, sagte Lara.
    Â»Danke«, quittierte Tom dies. »Und ab nun belassen wir es wieder bei Tom, ja?«
    Lara grinste.
    Â»Schicksal«, meinte sie nur.
    Sie erreichten den Mann mit dem Mantel aus Lederflicken, der im seichten Wind um seine Beine flatterte.
    Â»Du hast ihn nicht umgebracht, oder?«, fragte Lara unvermittelt.
    Die anderen schauten sie fragend an. Tom, Marcion und Lee, der schon früher eingetroffen war.
    Â»Krah«, machte es von oben, und Dexter landete in ihrer Mitte. Dank seines beinahe völlig genesenen Flügels gelang die Landung perfekt.
    Schließlich fiel der Groschen bei Marcion.
    Â»Nein«, meinte er, und in seinen Augen schimmerte ein tiefer See aus Reue und Ehrlichkeit.
    Â»Ich habe Bails nicht vorsätzlich vom Balkon gestoßen«, erklärte er, und man hörte, wie sehr ihn das Vergangene und das Zukünftige schmerzten. »Er ist während unserer Rangelei vom Balkon gefallen. Es ist einfach passiert. Ich bin froh, dass mich der Stadtrat einfach hat gehen lassen.
    Der Musiker in Wien hingegen war bereits tot, als ich dort eingetroffen bin. Die Nachbarn haben mir gesagt, er habe es selbst getan.«
    Betretenes Schweigen.
    Schließlich setzte Marcion noch einmal an.
    Â»Ich bin euch wirklich dankbar, dass ihr hier seid. Ihr wisst wahrscheinlich gar nicht, wie sehr. Ich habe alles verraten, was mir lieb und teuer war. Und trotzdem seid ihr hier. Ihr habt wahrhaft gute Herzen.«
    Â»Wo geht es hin?«, wich Tom aus.
    Â»Nach Indien«, erwiderte Marcion. »Ravinia ist nun ein abgeschlossenes Kapitel für mich. Aber es gibt zu jedem Topf mehr als einen Deckel. Gute Zeiten kommen und gehen. Das Leben besteht immer aus all den erbarmungslosen Hochs und Tiefs.«
    Er fingerte seinen Schlüsselbund aus einer Manteltasche hervor und gab ihn Lara.
    Â»Die Schlüssel könnt ihr behalten«, meinte er. »Einer ist der Schlüssel zu einer Wohnung in Amsterdam. Die Adresse hat Lord Hester. Die Philosophiebücher in den Regalen dort gehen an Lee.«
    Schließlich hievte Marcion einen Seesack auf die Schultern und betrat den ausgelegten Metallsteg zum Schiff.
    In der Mitte drehte er sich noch einmal um.
    Â»Danke«, sagte er. »Ihr habt mich eine Menge gelehrt. Danke!«
    Â»Halt!«, rief Tom. »Du schuldest mir noch zwei Antworten!«
    Die beiden Männer hielten eine Weile dem Blick des anderen stand.
    Schließlich zuckte ein Grinsen über Marcions Gesicht.
    Â»Die Antwort lautet in beiden Fällen: Vielleicht . Ganz egal, was du fragst.«
    Und so verschwand er im Bauch des Kolosses aus Stahl, der seine Fracht über die Weltmeere bis ins weit entfernte Indien bringen würde.

    Manchmal erscheint den Menschen der Alltag wie eine der größten und außergewöhnlichsten Gaben überhaupt, aber wie mit allen Gaben ist es auch mit dem Alltag so, dass man ihn nicht als selbstverständlich hinnehmen darf. Denn sonst verliert man sich in ihm.
    Â»Hallo, Tom«, rief Lara, als sie den Schlüsselladen durch die Vordertür betrat. Tom sah von seiner Arbeit auf, die er wie üblich schon Stunden vor Lara begonnen hatte.
    Es war schon immer so gewesen. Morgens war Tom schon da, bevor Lara überhaupt von einem Wecker aus dem Bett gequält wurde, und wenn Lara am Nachmittag oder am Abend Feierabend machte, war Tom meistens noch lange nicht fertig.
    Â»Hallo, Lara«, begrüßte er sie.
    Es war gut, wie es war.
    Tom hatte eines von Laras Counting Crows- Alben in die Stereoanlage eingelegt, die seit Kurzem die Werkstatt bereicherte.
    Well, it’s a lifetime’s decision, klang es aus den Boxen.
    Die
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