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Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
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schwarze Augenklappe, über der eine grüne Strähne hing. Im wirbelnden Duell mit Valerius hatten die grün gefärbten Haare nach dem Kontakt mit Valerius’ Klinge deutlich an Länge eingebüßt. In einem stillen Moment hatte Tom ihr sein Angebot unterbreitet, und die schöne Nachtwächterin mit der tiefen Wunde in Gesicht und Seele hatte schließlich dankbar das Angebot angenommen, fortan eines von Morinhos sonderbaren Glasaugen zu tragen. Doch erst dann, wenn die körperlichen Schäden geheilt waren.
    Es war viel, was diese seltsame Gemeinschaft hatte begreifen müssen auf ihrer Reise durch diese wirren Tage. Es war viel, was ihnen anhaften würde. Eine ganze Weile noch oder auch ein Leben lang.

    Manchmal trägt die Welt einen unerwartet sanft auf den Wogen, die sie soeben noch aufgewühlt hat.
    Lara McLane war zusammen mit Tom Truska unterwegs zu einer eigenartigen Verabredung. Was sie sich davon versprachen, wussten sie beide nicht so genau. Sie waren einfach unterwegs dorthin. Einen langen Kai entlang, zwischen Containern, rostigen Schienen und Ölflecken, stapften sie durch den noch rauen Frühling Europas. Genauer gesagt, durch den Hafen von Rotterdam, unterwegs zu einem Frachter, der bald schon ablegen würde.
    Â»Glaubst du, dass wir unsere Ruhe haben werden vor den Sturmbringern?«, fragte Lara nachdenklich, während sie, ohne richtig hinzusehen, das Gewirr der kleinen Containerstadt durchquerten.
    Tom verstand, was sie meinte.
    Â»Ohne Roland Winter sind die Sturmbringer nichts«, sagte er. »Sie werden sich weiter bemühen, ihn zu regenerieren. Doch wir haben ein Zeichen gesetzt. Oder vielmehr hat Winter es selbst an uns getan. Die Stadt ist alarmiert. Jeder, dem auch nur die kleinste Möglichkeit durch den Kopf gehen wird, wie eine Rückkehr des Herrn über Wind und Staub zu bewerkstelligen sei, wird dies melden und es wird mit aller Kraft unterbunden werden. Falls Winter dafür überhaupt noch lange genug lebt.«
    Â»Du meinst, wir sind aus der Sache raus?«
    Â»Ich hoffe es.«
    Schweigend gingen sie ein Stückchen weiter. Denn schweigen konnten sie gut zusammen, und sie genossen es. In der Ferne ertönten dröhnende Schiffssirenen.
    Schließlich stellte Lara eine weitere Frage.
    Â»Was wird aus dem Schlüsselladen in der Victoria Street?«
    Tom sah sie überrascht an.
    Â»Was soll schon daraus werden? Es bleibt natürlich bei Schlüssel, Uhren, Feinmechanik . Ich fürchte bloß, der Name des Inhabers wird sich ändern.«
    Â»Hm«, machte Lara.
    Â»Was ist daran nicht in Ordnung?«
    Â»Ich dachte, wir könnten vielleicht eine Werkstatt in Ravinia aufmachen. Das Haus meiner Eltern steht frei, und ich erbe es ja.«
    Tom verstand.
    Â»Ja. Aber es ist nicht mein Laden.«
    Dann blieb er stehen. Als Lara sich zu ihm umdrehte, legte er ihr die Hände auf die Schultern und sah sie ernst an.
    Â»Lass es los, Lara! Wenn du ehrlich bist, ist die Werkstatt deiner Eltern nicht deine Werkstatt. Du hast dort eine kurze Zeit gewohnt, aber du kannst dich nicht einmal daran erinnern. Du hast dort nie gelebt . Es ist ein Schatten aus der Vergangenheit.«
    Und Lara McLane begriff, dass sich manche Dinge einfach nicht ändern ließen, egal wie sehr man es sich auch wünschte. Schicksale wurden geschrieben, doch sein Schicksal zu akzeptieren, hieß nicht, die Gegenwehr verebben zu lassen.
    Â»Ich werde das Haus verkaufen«, meinte sie schließlich und setzte ihren Weg fort.
    Â»Eine gute Entscheidung. Und was machst du mit dem Geld?«
    Lara überlegte.
    Â»Zunächst helfe ich Großvater über die Runden, bis er wieder Arbeit hat. Und außerdem könnte Lee etwas Neues zum Anziehen gebrauchen.«
    Ein Schmunzeln huschte über Toms Gesicht und wurde in Laras Miene von einem hellen Lachen reflektiert. Auch Tom hatte etwas gelernt in den letzten Tagen. Er verschenkte von Zeit zu Zeit ein Lächeln. Es war, als sei die Eisschicht eines bitterkalten Winters im Begriff zu tauen.
    Â»Damit tust du sicherlich ein gutes Werk«, bestätigte er ihr. »Ich denke, ich werde ihn in der Victoria Street wohnen lassen. Ich brauche die Wohnung ja nicht. Die Miete und den Strom müssen wir ohnehin für den Schlüsselladen erwirtschaften, da fällt das auch nicht ins Gewicht.
    Hast du eigentlich noch mehr Fragen? Ich bin gerade erstaunlich redselig.«
    Lara dachte kurz
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