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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Autoren: Etgar Keret
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die freie Hand hin und sagte: »Halt sie ganz fest.« Natascha betrachtete den Mann, der zu ihren Füßen ausgestreckt lag. Ein plus Dreißiger, ganz hübsch, der ein sauberes, gebügeltes weißes Hemd anhatte, das jetzt allerdings schon nicht mehr so sauber und viel weniger gebügelt war, dessen einer Arm in einem Loch steckte und dessen Wange an die Erde gedrückt war. »Halt sie ganz fest«, wiederholte er, und sie konnte nicht umhin sich zu fragen, während sie ihm ihre Hand reichte, wie sie bloß immer all diese Hirnkranken fand. Als er mit seinem ganzen Blödsinn am Auto angefangen hatte, hatte sie gedacht, das sei vielleicht so eine Art Humor, etwas dämlich einheimisch Israelisches, so wie diese »Versteckte Kamera« auf Kanal 2, doch jetzt begriff sie, dass der Typ mit den sanften Augen und dem verlegenen Lächeln wirklich durchgeknallt war. Seine Finger umklammerten fest die ihren. So verharrten sie erstarrt für eine kleine Weile, er auf der Erde ausgestreckt und sie leicht gebückt über ihm, mit verwirrtem Blick in den Augen.
    »Okay«, flüsterte Natascha dann mit milder, fast therapeutischer Stimme, »jetzt halten wir also Händchen. Was nun?«
    »Jetzt« sagte Rubi, »drehe ich am Griff.«

    Es kostete sie viel Zeit, Igor zu finden. Zuerst trafen sie irgendeine behaarte und bucklige Lüge, anscheinend von einem Argentinier, der kein Wort Hebräisch sprach, und danach eine andere Lüge Nataschas, so eine Nervensäge von religiösem Polizist, der darauf bestand, sie aufzuhalten und ihre Ausweise zu überprüfen, aber von Igor nie auch nur was gehört hatte. Wer ihnen am Ende half, war Rubis verprügelte Nichte aus Natania. Sie fanden sie dabei, wie sie die Katzenjungen aus seiner letzten Lüge fütterte. Diese Nichte war schon seit einigen Tagen nicht mehr auf Igor gestoßen, aber sie wusste, wo man seinen Hund finden konnte. Und der Hund, nachdem er damit fertig war, Rubis Hände und Gesicht abzulecken, führte sie gerne zum Bett seines Herrchens.
    Igor war in keinem guten Zustand, seine Haut war völlig gelb, und er schwitzte die ganze Zeit. Doch als er Natascha sah, lächelte er strahlend breit. Er freute sich dermaßen, dass sie gekommen war, um ihn zu besuchen, dass er darauf bestand, aufzustehen und sie zu umarmen, obwohl er kaum fähig war, sich auf den Beinen zu halten. Als er sie umarmte, fing Natascha an zu weinen und bat um Verzeihung, denn dieser Igor war, nicht weniger als er eine Lüge war, auch ihr Onkel. Ein Onkel, den sie erfunden hatte, stimmt, aber trotzdem immerhin ein Onkel. Daraufhin sagte Igor zu ihr, sie brauche sich für nichts zu entschuldigen, und das Leben, das sie für ihn erfunden habe, sei vielleicht nicht immer gerade eins der leichtesten, aber er genieße jeden Augenblick, und sie müsse sich keine Sorgen machen, denn gegen das Zugunglück in Minsk, gegen den Blitzschlag in Wladiwostok und die Bisse des tollwütigen Wolfrudels in Sibirien sei dieser Herzinfarkt ein Pipifax. Und als sie zum Kaugummiautomaten zurückkamen, steckte Rubi eine Einliramünze in den Schlitz, nahm Nataschas Hand in die seine und bat sie, am Griff zu drehen.
    Als sie wieder im Hof waren, entdeckte Natascha in ihrer Hand eine Plastikkugel mit einer Überraschung darin – ein hässlicher, goldfarbener Plastikanhänger in Form eines Herzen.
    »Weißt du«, sagte sie zu Rubi, »ich hätte heute Abend für ein paar Tage mit einer Freundin in den Sinai fahren sollen, aber ich glaube, ich streich das und komm morgen hierher zurück, um Igor zu pflegen. Magst du auch kommen?« Rubi nickte. Er wusste, dass er, um morgen mit ihr mitzukommen, irgendeine Lüge fürs Büro erfinden müsste, aber obwohl er noch keinen genauen Plan hatte, was für eine, wusste er schon, dass es eine sonnige Lüge werden würde, in der viel Licht, Blumen, Himmel und wer weiß was vorkommen würden, vielleicht sogar ein paar lächelnde Babys.

Jesus Christ
    Habt ihr euch einmal gefragt, was das häufigste letzte Wort im Munde derer ist, die dabei sind, eines gewaltsamen Todes zu sterben? Die MIT-Universität hat eine umfassende Fachstudie im Kreis heterogener Gemeinden im Norden Amerikas durchgeführt und entdeckt, dass es kein anderes Wort als »fuck« ist. Acht Prozent der Sterbekandidaten sagen »what the fuck«, sechs weitere Prozent sagen nur »fuck«, und dann gibt es noch 2,8 Prozent, die »fuck you« sagen, obgleich in ihrem Falle natürlich »you« das allerletzte Wort ist, auch wenn das »fuck« es unerschütterlich
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