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Rita das Raubschaf

Rita das Raubschaf

Titel: Rita das Raubschaf
Autoren: Martin Klein
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Auf dem Deich

    D as kleine Schaf Rita lebt mit seinen Eltern und vielen anderen Schafen auf einem Deich gleich am Meer. Mit den anderen Schafen versteht sich Rita nicht allzu gut.
    »Was denkt ihr, wer war der größte Pirat aller Zeiten?«, fragt sie zum Beispiel. »Klaus Störtebeker oder vielleicht doch Sir Francis Drake?«
    Die anderen Schafe schauen, wie Schafe immer schauen. Die meisten grasen gleichmütig weiter. Zwei machen »Määh!«, eins hebt den Kopf ein wenig, und eins sagt: »Bestimmt derjenige, der mehr Wolle hatte.«
    Rita seufzt.
    »Pirat oder Freibeuter«, will Rita ein anderes Mal wissen. »Welchen Namen würdet ihr euch geben? Ihr könnt übrigens auch beide nehmen.«

    Fast alle anderen Schafe fressen weiter. Zwei machen »Mööh!«, eins wackelt mit den Ohren, und eins erwidert: »Ich heiße Rebecca, und das ist gut so.«
    Rita seufzt ziemlich laut.
    »Was würdet ihr mit der Freiheit anfangen?«, versucht es Rita wieder einmal.
    Die Schafherde kaut und schaut. Zwei Schafe bommeln mit ihrem kurzen wolligen Schwanz hin und her, eins rülpst, und eins fragt: »Freiheit? Was meinst du damit?«
    »Ich meine damit, dass man keinen Zaun mehr vor der Nase hat und gehen kann, wohin man will. Zum Beispiel in die Karibik oder nach Australien.«
    »Könnte man dann auch zu den fetten Grasbüscheln laufen, die hinter dem Zaun wachsen?«, fragt das Schaf.
    »Man könnte zu jedem Grasbüschel überall auf der ganzen Welt laufen«, erwidert Rita. »Das wäre etwas, nicht wahr?«
    Das Schaf überlegt. »Da müsste jemand den Zaun durch die ganze Welt tragen«, sagt es schließlich. »Und das würden selbst der Schäfer und Boris nicht schaffen.«
    Rita seufzt besonders laut, denn so geht das jedes Mal. Sie stellt sich oben auf den Deich und betrachtet die Linie, die das Meer vom Himmel trennt. Das bringt sie oft auf gute Gedanken, und auch heute kommt ihr eine Idee.
    Rita beginnt die Schaf-Gespräche nun mit einem echten Schafsthema: »He, Leute, was ihr da wiederkäut, ist ein gutes Süßgras, nicht wahr?«
    »Määh.«
    »Man könnte davon erbeuten, so viel man wollte, wenn man Freibeuter wäre.«
    Die anderen Schafe kauen und schauen und schweigen. Nur eins plinkert einmal mit großen Augen.
    Rita seufzt sehr, sehr laut. Nicht weit entfernt fällt ein Schafsköttel ins Gras und dampft eine Weile vor sich hin. Und sonst passiert wie immer – nichts.
    Rita hat alles versucht, doch die Gespräche kommen einfach nicht in Gang. Aber da sind ja noch Ritas Eltern, der Hammel Kurt-Georg und das Mutterschaf Beate. Tja. Auch diese beiden kümmern sich um nichts anderes als um Gras. Stunde für Stunde, Tag für Tag. Mampf, mampf, mampf. Mit gesenktem Kopf. Pausen machen sie nur, um Schafsköttel loszuwerden und zum nächsten Büschel zu trotten. Kurt-Georg und Beate hören nicht einmal im Schlaf mit dem Fressen auf. Sie kauen die Halme des Tages wieder und wieder. Mampf, mampf, mampf.

    Rita aber hat nun einmal keine Lust, Tag und Nacht nur vor sich hin zu fressen. Sie trottet auch nicht gern stundenlang von einem Grasbüschel zum nächsten. Sie hält ihren Kopf am liebsten aufrecht, und der Ausdruck in ihrem Gesicht bereitet dem Schäferhund Boris und ihren Eltern Unbehagen.
    Widerwillig hebt der Hammel Kurt-Georg den Kopf aus dem Weidegras und blökt: »He, Rita! Wo guckst du hin?!«
    »Karibik.« Rita steht oben auf dem Deich und schaut in die Ferne.
    »Karibik? Was ist das?«
    »Das Paradies der Freibeuter«, erwidert Rita.
    »Das Paradies der – was?«
    »Der Freibeuter, Papa!«
    »Du bist kein Freibeutler, du bist ein ganz normales Wollschaf«, grummelt Kurt-Georg. »All die neumodischen Schafrassen können uns gestohlen bleiben. Und für das Paradies brauchst du nicht in die Ferne zu starren, dummes Lämmchen. Das Paradies ist hier!«
    »Schon gut, Papa«, sagt Rita grimmig. Irgendwo hinter dem weiten Horizont und dem großen Wasser sind die Orte ihrer Träume.
    »Hör auf, so finster zu starren!«, blökt Kurt-Georg. »Da kann ein ausgewachsener Hammel ja Angst bekommen! Und Boris mag diesen Blick erst recht nicht! Schau gefälligst wie ein Schaf!«
    Rita schaut noch grimmiger.
    Der Hammel wendet sich an das Mutterschaf. »Beate, deine Tochter hört wieder einmal nicht! Sie schaut wie ein Raubtier, und das auch noch in die Karibik oder so etwas! Das kann nur ein anderes Wort für Unsinn sein. Bitte unternimm etwas!«
    »Rita!« Das Mutterschaf hebt den Kopf und hört zum ersten Mal an diesem Tag auf zu
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