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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Autoren: Etgar Keret
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überstrahlt. Doch was sagt Jeremy Kleinman, einen Moment bevor er seiner Seele in der Quartiermeisterei droben enthoben wird? Er sagt: »Ohne Käse«. Jeremy sagte das, weil er gerade in einem Cheeseburgerlokal namens »Jesus Christ« etwas bestellte. Sie hatten keinen schlichten Hamburger auf der Karte, also verlangte Jeremy, der es mit dem koscher sehr genau nahm, einen Cheeseburger ohne Käse. Die Schichtverantwortliche in dem Lokal machte kein Aufhebens davon. Viele Kunden hatten das in der Vergangenheit schon von ihr verlangt. So viele, dass sie bereits das Bedürfnis verspürt hatte, in einer Reihe detaillierter E-Mails dem Generaldirektor der Jesus-Christ-Kette davon zu berichten, der in Atlanta saß. Sie hatte gebeten, in die Speisekarte auch die Variante eines einfachen Hamburgers aufzunehmen. »Viele Leute bitten mich darum, denn im Moment sind sie gezwungen, einen Cheeseburger ohne Käse zu bestellen. Das ist eine spitzfindige und etwas peinliche Möglichkeit. Sie ist peinlich sowohl für mich als auch, wenn Sie gestatten, für die gesamte Kette. Mich bringt das dazu, mich wie eine Technokratin zu fühlen, und den Kunden vermittelt es – dass die Kette ein komplizierter Apparat ist, den sie überlisten müssen, um das Gewünschte zu erhalten.« Der Generaldirektor antwortete nicht auf ihre E-Mails, und die Tatsache, dass er nicht antwortete, war aus ihrer Sicht sogar noch peinlicher und erniedrigender als alle die Male, bei denen ein käseloser Cheeseburger bei ihr bestellt wurde. Wenn sich ein treuer Angestellter an seinen Arbeitgeber wendet und ihn in ein Problem einweiht, noch dazu ein fachliches, das mit dem Arbeitsplatz zusammenhängt, ist das Minimum, zu dem der Arbeitgeber verpflichtet ist, dessen Existenz anzuerkennen. Der Generaldirektor hätte ihr schreiben können, es würde behandelt, oder dass er ihre Anregung zu schätzen wisse, zu seinem Bedauern jedoch die Speisekarte nicht zu ändern vermochte, oder noch eine Million mehr abgedroschener Antwortphrasen von dieser Sorte. Aber nein. Überhaupt nichts schrieb er. Und das brachte sie dazu, sich wie Luft zu fühlen. Genau wie an jenem Abend in New Haven, als ihr Freund Nick die Bedienung anbaggerte, während sie selber neben ihm an der Bar saß. Sie hatte damals geweint, und Nick hatte nicht einmal begriffen, warum. Noch in der gleichen Nacht hatte sie ihre Sachen gepackt und war gegangen. Gemeinsame Freunde riefen einige Wochen danach bei ihr an und erzählten ihr, dass Nick sich umgebracht hatte. Nach außen hin gaben sie ihr keine Schuld an dem, was passiert war, doch da war was an der Art, wie sie ihr das erzählten, irgendwie tadelnd, sie konnte nicht einmal genau definieren, was. Auf alle Fälle, als ihr der Generaldirektor nicht antwortete, erwog sie zu kündigen. Doch die Geschichte mit Nick brachte sie dazu, es nicht zu tun, nicht weil sie dachte, dass sich der Generaldirektor von Jesus Christ umbringen würde, wenn er hörte, dass eine Schichtleiterin in irgendeiner lausigen Zweigstelle im Nordosten des Kontinents gekündigt hatte, weil er ihr nicht antwortete, aber trotzdem. In Wahrheit hätte sich der Generaldirektor, wenn er gehört hätte, dass sie wegen ihm gekündigt hatte, schon umgebracht. Die Wahrheit ist, wenn der Generaldirektor gehört hätte, dass als Auswirkung der illegalen Jagd in Afrika der weiße Löwe zu einem aussterbenden Tier geworden ist, hätte er sich auch umgebracht. Er hätte sich gleichfalls umgebracht, wenn er etwas viel Geringeres und Harmloseres gehört hätte, zum Beispiel, dass es morgen regnen sollte. Der Generaldirektor der Cheeseburgerkette Jesus Christ litt an einer schweren klinischen Depression. Seine Arbeitskollegen wussten das, doch sie trugen Sorge, diese schmerzliche Tatsache nicht zu verbreiten, sowohl weil sie seine Privatsphäre achteten, aber ebenso weil sie den Aktienkurs im Nu fallen lassen konnte. Was verkauft uns denn die Börse anderes als die unfundierte Hoffnung auf eine rosige Zukunft? Und ein Generaldirektor, der an einer klinischen Depression leidet, ist nicht gerade der ideale Emissär, um eine solche Botschaft zu vermitteln. Der Generaldirektor von Jesus Christ, der die persönliche und öffentliche Problematik seiner psychischen Lage voll und ganz internalisierte, versuchte sich mit medikamentöser Behandlung helfen zu lassen. Die Medikamententherapie half überhaupt nichts. Die Medikamente, die er bekam, wurden ihm von einem exilirakischen Arzt verschrieben, der den
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