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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Autoren: Etgar Keret
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zu klingen.
    »Ich bitte Sie zu gehen«, sage ich zu ihm, »Sie sind zu einer ungünstigen Zeit gekommen.«
    »Ungünstig, eh?« Der Meinungsforscher zieht einen Trommelrevolver aus dem Ordner. »Warum denn ungünstig, weil dein Bruder Orientale ist? Für Schweden, wie ich sehe, hast du ein Meer von Zeit. Aber für einen Marokkaner, einen entlassenen Soldaten, der ein Stück von seiner Milz im Libanon gelassen hat, für einen Kameraden hat man nicht mal ne Minute übrig.« Ich versuche ihm zu erklären, dass dem so nicht ist. Dass er mich einfach in einem delikaten Augenblick mit diesem Schweden erwischt hat. Aber der Meinungsforscher nähert den Revolverlauf seinen Lippen, signalisiert mir, den Mund zu halten. »Marschmarsch, allez-hopp«, sagt er, »nix mit Ausreden. Setz dich hier in den Sessel, und fang an auszuspucken.«
    »Was ausspucken?«, frage ich. Die Wahrheit ist, dass ich jetzt langsam echt in Stress komme. Auch der Schwede hat eine Schusswaffe, es könnte hier eine Spannung entstehen, Ost-West und solches Zeug, Mentalitätsunterschiede. Oder er könnte einfach bloß so explodieren, weil er die Geschichte nur für sich selber, solomäßig, wollte.
    »Leg dich nicht mit mir an«, droht der Meinungsforscher, »ich hab ne kurze Lunte. Nu, spuck schon aus, irgendeine Geschichte, ticketacke.«
    »Ja«, schließt sich ihm der Schwede in überraschender Harmonie an, und auch er richtet seine Waffe auf mich. Ich räuspere mich und fange wieder an:
    »Drei Menschen sitzen in einem Raum …«
    »Und ohne ›plötzlich klopft es an der Tür‹«, fährt der Schwede warnend dazwischen. Der Meinungsforscher versteht nicht genau, was er damit meint, aber er springt auf die gleiche Welle mit auf.
    »Wallah«, sagt er, »ohne Türklopfen. Erzähl was anderes. Was Überraschendes.« Ich schweige einen Moment, hole Luft. Beider Blick ist auf mich konzentriert. Wie kommt es nur, dass ich immer in solche Situationen gerate? Einem Amos Oz oder Grossman würde das nie im Leben passieren. Plötzlich ist ein Klopfen an der Tür zu hören. Ihr Blick wird konzentriert drohend. Ich zucke mit den Achseln. Das bin schließlich absolut nicht ich. Es gibt überhaupt nichts in meiner Geschichte, das mit diesem Klopfen in Zusammenhang steht.
    »Werd ihn los«, befiehlt mir der Meinungsforscher, »werd ihn los, wer immer das auch ist.« Ich öffne die Tür nur einen Spalt. Ein Pizzabote steht dort.
    »Bist du Keret?«, fragt er.
    »Ja«, sage ich, »aber ich habe keine Pizza bestellt.«
    »Bei mir steht hier, Zamenhoff vierzehn«, er wedelt mir mit einem Zettel vor der Nase herum und drängelt sich hinein.
    »Das mag ja da stehen«, sage ich, »aber ich habe überhaupt keine Pizza bestellt.«
    »Familienausgabe«, beharrt er. »Halb Ananas, halb Sardellen. Ist schon bezahlt. Mit Karte. Gib mir bloß ein Trinkgeld, und weg bin ich.«
    »Bist du auch wegen der Geschichte hier?«, forscht der Schwede.
    »Was für eine Geschichte?«, fragt der Bote. Man sieht, dass er schwindelt, er ist nicht besonders gut darin.
    »Hol ihn raus«, wirft ihm der Meinungsforscher zu, »nu, hol schon den Revolver raus.«
    »Ich hab keinen Revolver«, gesteht der Bote und deckt unter seinem Pizzapappkarton ein langes Schlachtermesser auf. »Aber ich schneid ihn in Scheibchen wie eine Pastrami, wenn er mir hier jetzt nicht gleich irgendein Geschichtchen vorsingt.«
    Die drei sitzen auf dem Sofa. Der Schwede rechts, neben ihm der Bote, links der Meinungsforscher.
    »Ich kann so nicht«, sage ich zu ihnen, »da kommt einfach keine Geschichte raus, wenn ihr drei mit der Waffe und dem Ganzen hier seid. Geht raus, dreht mal eine kleine Runde, und bis ihr zurückkommt, werde ich schon irgendwas fertig haben.«
    »Der Scheißkerl wird die Polizei rufen«, sagt der Meinungsforscher zum Schweden, »was meint der denn, dass wir von gestern sind?«
    »Nu, jetzt rück schon eine raus, und dann gehen wir«, fleht der Bote, »eine, eine kurze. Sei kein Knauser. Es sind schwere Zeiten. Arbeitslosigkeit, Anschläge, Iraner. Die Leute sind gierig nach was anderem. Was, meinst du denn, hat uns, korrekte Normalbürger, so weit gebracht, bis hierher zu dir? Die Verzweiflung, Mann, die Verzweiflung.«
    Ich nicke und fange wieder an.
    »Vier Menschen sitzen in einem Raum. Es ist heiß. Langweilig. Die Klimaanlage läuft nicht. Einer von ihnen verlangt eine Geschichte. Der zweite und der dritte schließen sich ihm an …«
    »Das ist keine Geschichte«, platzt der Meinungsforscher
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