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Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin

Titel: Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Autoren: Berte Bratt
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Mein Lebenslauf
    Es war noch nicht halb acht Uhr morgens, als ich mich vor die verschlossene Tür von Dr. med. Hanson, praktischer Arzt, stellte. In der Anzeige hatte gestanden: „... zwischen acht und neun Uhr.“ Und ich wollte auf Nummer Sicher gehen und rechtzeitig da sein. Pustekuchen! Da standen schon vier Mädchen, alle zwischen fünfzehn und siebzehn, alle mit einem Kuvert mit Schulzeugnissen und selbstgeschriebenem Lebenslauf in der Hand.
    Und alle hatten die Hoffnung, die Auserwählte zu sein, oder vielmehr die zu werden, die als Helferin-Lehrling angenommen werden würde.
    Ich sah schon schwarz. Ganz vorn stand ein bildhübsches, schlankes, hochgewachsenes Mädchen. Dann ein kleineres mit dunklen Locken, roten Backen und einer lustigen Stupsnase. Dann ein kräftiger, sportlicher Typ und zuletzt eine mit einem hübschen, intelligenten Gesicht und klugen, wachen Augen.
    Gegenüber diesen vieren waren meine Chancen minimal, das war mir klar. Hochgewachsen und schlank bin ich nicht, im Gegenteil, ich bin - oder war damals - wenn auch nicht gerade dick, so doch etwas pummelig. Blonde Locken habe ich nicht und auch keine Stupsnase. Meine Haare sind glatt und dunkelblond. Ein sportlicher Typ bin ich ganz bestimmt nicht und auffallend intelligent erst recht nicht. Mein Schulzeugnis zeigte ganz deutlich, daß meine mathematische Begabung sehr viel zu wünschen übrigließ, daß meine Turnleistungen miserabel waren und daß Physik nicht mein Lieblingsfach gewesen war. Nur zwei Rosen blühten in dem Unkrautgarten meines Zeugnisses: Die schöne Eins in Deutsch und die ebenso schöne in Handarbeit.
    Daß ich außerdem schwedisch sprechen konnte, war natürlich schön und gut, aber das würde mir ganz bestimmt nicht zu einer Lehrstelle als Arzthelferin verhelfen.
    Es wurde acht Uhr, die Tür wurde aufgemacht und wir fünf plus noch eine, die dazugekommen war, wurden ins Wartezimmer reingelassen. Ich war bestimmt die älteste der Gesellschaft. Die anderen kamen wohl direkt von der Schulbank, aber ich hatte ja ein Jahr in Schweden hinter mir.
    Nun, um eine lange Geschichte kurz zu machen: Ich wurde nicht angestellt. Siegerin wurde die kleine Blondlockige mit der Stupsnase.
    Dann saß ich wieder im Bus und fuhr nach Hause. Es war eine weite Fahrt, denn wir wohnen außerhalb der Stadt. Das war mit ein Grund, daß ich bis jetzt kein Glück mit meinen Bewerbungen gehabt hatte. „Sie wohnen aber weit weg“, hieß es immer. Nun ja, natürlich wäre es praktischer für einen Arzt, wenn seine Helferin in der Nähe wohnte und auch mal unabhängig von Verkehrsmitteln war.
    Da ich nichts anderes zu tun hatte, holte ich wieder meinen selbstgeschriebenen Lebenslauf aus der Tasche und las ihn zum x-tenmal durch.
    „Vor achtzehn Jahren wurde ich, Allegra Marianne Walther, als jüngstes Kind und einzige Tochter des Bankbeamten Oscar Walther und seiner Frau Selma, geborene Henrikson, am 30. März in Bremen geboren...“
    Trockene, langweilige Worte. Von meinen Eltern wurde dieses Ereignis ganz anders erzählt: „Wir hatten uns mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß wir nie ein Töchterchen kriegen würden, unsere drei wilden, fußballspielenden, lauten Jungen waren schon groß, der jüngste, Detlef, war schon elf - und dann, gegen alle Vermutungen und alle Pläne, meldete sich unsere Allegra an. Unser Sonntagskind, unser Frühlingskind! Ja, wenn jemals ein Wunschkind auf die Welt gekommen ist, dann ist es unsere Allegra!“
    „Wie seid ihr bloß auf den Namen gekommen?“ wird dann gefragt.
    „Wir fanden ihn hübsch“, sagt dann Mutti - oder Vati. Aber ich weiß mehr.
    Neun Monate vor meiner Geburt konnten Mutti und Vati endlich einmal allein einen richtigen Urlaub machen. Die „drei Nervensägen“ - meine Brüder - waren bei robusten Verwandten auf dem Lande, und meine vielgeplagte Mutter konnte endlich ausspannen und sich von meinem treusorgenden Vater etwas verwöhnen lassen. Sie fuhren in die Schweiz, ins Engadin, wanderten im Gebirge, freuten sich über die herrliche Natur und das Tierleben und erholten sich prächtig.
    In dieser Ecke von der schönen Schweiz wird rätoromanisch gesprochen, und meine Eltern lernten ein paar Worte, so wie „Danke“, „Guten Tag“, und „Auf Wiedersehen“.
    „Guten Tag“ heißt „Allegra“. Das ist ein besonders schöner Gruß, denn das Wort bedeutet auch „Freude“. Wenn man sich also in dieser Gegend trifft, wünscht man sich gegenseitig nicht nur einen „guten Tag“, sondern
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