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Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin

Titel: Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
Autoren: Berte Bratt
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Oberbach an. „Sie erzählten mir, daß Sie Ihre Großmutter mehrere Monate gepflegt haben. Und Sie sagten, wenn Sie sich erst um einen Menschen kümmerten, wollten Sie ganz für ihn da sein. Nicht, so war es doch?“ Ich nickte.
    „Dies geht um einen Menschen, für den Sie wirklich ganz dasein müßten. Es ist nämlich so - nein, fangen wir lieber von vorn an. Ich habe eine sehr nette Patientenfamilie, die Kinder waren meine ersten Patienten nach meiner Praxiseröffnung. Wir treffen uns auch öfters privat. Diese Familie hat ein Problem, nämlich eine achtzigjährige Oma.“
    „Ist sie schwer krank?“ fragte ich zögernd.
    „Im Gegenteil! Sie ist quietschgesund. Sie sieht und hört so gut wie Sie und ich, und sie ist direkt beunruhigend unternehmungslustig. Um ihren körperlichen Zustand könnte man sie einfach beneiden. Ebenso um ihre finanzielle Lage, sie ist nämlich sehr wohlhabend. Aber mit dem Geist klappt es nicht mehr so ganz. Ihr Gedächtnis ist wie ein Sieb, und sie ist nicht mehr imstande, eine Situation richtig zu beurteilen. Auf der Straße muß man auf sie aufpassen wie auf ein kleines Kind, es ist ein wahres Wunder, daß sie noch nie von einem Auto angefahren worden ist. Sie bringt manchmal die Uhrzeiten durcheinander, wacht aus ihrem
    Mittagsschläfchen auf und verlangt Frühstück, oder sie fragt um zehn Uhr morgens nach dem Mittagessen. Wenn sie allein in die Stadt geht, fällt ihr plötzlich ein, sie wollte doch Blumen kaufen, dann bestellt sie einen großen Strauß und läßt ihn nach Hause schicken. Nach fünf Minuten hat sie es vergessen, und geht ins nächste Blumengeschäft, womöglich noch in das dritte und vierte! Dann hat sie wieder ihre hellen Augenblicke, wo sie sich vollkommen normal benimmt, dann kann sie ganz reizend sein. Was vor vierzig oder fünfzig Jahren geschah, weiß sie noch haargenau und kann sehr lustig aus ihrer Jugend erzählen. Aber wer sie am Tage vorher besucht hat, ahnt sie nicht, und ihre Rechnungen bezahlt sie drei-, viermal, wenn man nicht aufpaßt.“ Ich mußte lachen.
    „Vielleicht zahlt sie das Gehalt ihrer Betreuerin auch drei-, viermal?“ fragte ich.
    „Sie werden lachen, das ist wirklich vorgekommen! Aber wenn es auch nur einmal pro Monat bezahlt wird, ist es reichlich, es ist wirklich ein anständiges Gehalt. Na, darüber müßten Sie mit dem Sohn oder der Schwiegertochter sprechen. Ja, und noch eins: Die alte Dame ist sehr für Abwechslung; wie ich sagte, ist sie beunruhigend unternehmungslustig. Das bedeutet, daß sie furchtbar gern auf Reisen geht. Bald ist sie im Harz, dann macht sie einen Abstecher nach München, dann liest sie in der Zeitung über einen so schönen Kurort im Schwarzwald - dann ist sie nicht zu halten!“
    „Und dann muß die Betreuerin mitfahren?“ fragte ich.
    „Und ob! Mitfahren und aufpassen! Dafür erste Klasse Bahn fahren und in sehr guten Hotels wohnen, und keine materiellen Sorgen haben.“
    Ich sah Mutti an und hatte das Gefühl, daß mein Blick gelinde gesagt fragend war.
    „Aber sagen Sie, Frau Doktor.“, fragte Mutti langsam, „können Sie es verantworten, dieses Kind hier für eine solche Stellung zu empfehlen? Sie kennen sie ja kaum.“ Doktor Oberbach lächelte.
    „Ich habe eine Schwäche, oder wer weiß, vielleicht ist es eine Stärke. Ich bilde mir sehr schnell eine Meinung über einen Menschen, und bis jetzt ist die Meinung richtig gewesen. Ich habe mir heute vormittag eine Meinung über Ihre Allegra gebildet, und sie fiel so aus, daß ich sie sehr gern in meine Praxis haben möchte. Und jetzt tu ich, wie Sie sehen, alles was ich kann, um ihr zu helfen, dieses Jahr zu überbrücken, damit sie nicht womöglich eine andere Stellung annimmt.“
    „Das tu ich unter keinen Umständen“, versprach ich. „Aber -wieviel Bedenkzeit habe ich? Und an wen soll ich mich wenden, falls ich nun den Mut zusammenkratze, die alte Dame zu betreuen?“ „An ihre Schwiegertochter. Hier, ich schreibe den Namen und die Telefonnummer auf. Hoffentlich brauchen Sie nicht allzuviel Bedenkzeit, denn die jetzige Betreuerin hat gekündigt und verläßt die Stellung in vierzehn Tagen.“
    „Konnte sie es nicht mehr aushalten?“ fragte ich.
    „Ehrlich gesagt, genau das ist es. Aber sie ist eine Dame von sechzig Jahren. Und zu dieser Arbeit braucht man einen jungen Menschen mit Kräften und - nun ja, mit der Fähigkeit, ein bißchen Leben in die Bude zu bringen! Wobei Sie das Wort Bude nicht wörtlich nehmen dürfen, es handelt
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