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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla
Autoren: Sobo Swobodnik
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    Jetzt lief schon wieder der Fernseher. Über der Tür im Froh und Munter , Lieblingsgaststätte von Plotek in Neuhausen, Stadtteil von München. Plotek saß vor seinem Weißbier am Tresen und sah hinauf zum flimmernden Kasten über dem Eingang, wie fast alle anderen Gäste auch. Im Fernseher lief gerade Fußball. SpVg Altona-Nord gegen TuS Koblenz, Abstiegskampf. Hätte man denken können, war aber falsch. Es lief nämlich überhaupt nichts im Fernseher, wenn man es genau nimmt. Alle 22 Spieler standen steif und unbeweglich herum und glotzten ausdruckslos wie Kühe an einem Elektrozaun vor sich hin. Auch die Schiedsrichter und die Linienrichter. Und die Zuschauer. Alle. Alle standen da und glotzten betreten faustgroße Löcher in die Luft. Kein Mucks war zu hören. Nirgends. Auch der Reporter hielt erstaunlicherweise den Mund und quasselte nicht wie sonst immer, als wäre er eine Schnellfeuerwaffe und die Munition stammtischkompatible fußballerische Dampfplauderabszesse. Richtig angenehm ist das, dachte Plotek, so könnte es immer sein. Aber vergiss es. So war es nie. Neunzig Minuten schwatzten die sich um Kopf und Kragen, als wären diese Starreporter lausige Handelsvertreter mit extremen Hautproblemen und müssten an zugigen Reihenhaus-Haustüren völlig überteuerte Schönheitscremes, die keiner wollte und niemand brauchte, verhökern. Bei diesen Kommentatoren hatte man immer das Gefühl, das Stückchen Rasen verwandle sich Satz für Satz in eine Müllkippe, auf der sie ihre missglückten Stilblüten hoch bezahlt und im Fokus der Öffentlichkeit entsorgen können. Am Ende eines Spiels wurde man den Eindruck nicht mehr los, dass die Übertragung womöglich vom Verteidigungsministerium gesponsert und der Rasen als Truppenübungsplatz zweckentfremdet wurde – nicht nur wegen dem Zweikampfverhalten, dem Einsatzwillen und der Kampfkraft der Spielenden respektive Kämpfenden – vor allem wegen der rhetorischen Bankrotterklärung der Reporter, die einem Fuchspanzer gleich im Hörgang der Zuschauer traumatische Kettenabdrücke hinterließen. Sätze mit dem Charme und der Durchschlagskraft von Ministern selbigen Ressorts prägten sich dem Zuschauer ein und waren wie eine schlimme dermatologische Krankheit nicht mehr loszuwerden. Braucht der Meister der Herzen jetzt schon einen Bypass? Nein, möchte man da schreien, nein, aber der Moderator ohne Hirn vielleicht eine Transplantation im zerebralen Bereich. Das war eine halbe dicke Chance – ja, gewiss, und das ein ganzer halbwegs dummer Satz. Oder in Worte gefasste Akne.
    Jetzt nicht. Jetzt war kein einziger blöder, verkümmerter Satz zu hören. Jetzt war gar nichts zu hören von diesen Reportern. Warum? Keine Ahnung. Plotek drehte sich weg vom Fernseher und wandte sich seinem Weißbier zu.
    »Einen Tequila«, sagte er zu Susi. »Psst«, erwiderte Susi. Sie legte ihren Zeigefinger auf den Mund und sah Plotek dabei an, als hätte er Akne im Gesicht, und zwar großflächig.
    »Gedenkminute«, hauchte die Wirtin des Froh und Munter , als wär’s ein Geheimnis. Plotek sah sich in seiner Lieblingsgaststätte um und stellte fest, dass nicht nur die Spieler und Zuschauer im Fernseher, sondern auch die Gäste im Froh und Munter wie eingefroren zum leuchtenden postmodernen Tabernakel über der Tür starrten. Niemand verzog eine Miene. Keiner sagte etwas. Schweigen und Andacht überall.
    Auch schön, dachte Plotek, diese Ruhe, diese Stille – kein Muh, kein Mäh, kein Pieps – als ob die Welt den Atem anhalten wollte oder zumindest das Froh und Munter .
    Für eine Minute. Meinetwegen für immer. Dann dachte Plotek an die Gedenkminute und überlegte, woran alle bei so einer Gedenkminute wohl dachten. Keine Ahnung. Plotek dachte jetzt auf jeden Fall ans Schweigen. Ploteks Lieblingsdisziplin. Im Schweigen war Plotek ganz groß. Der Größte. Plotek war im Prinzip ein Schweigegelübde auf zwei Beinen – einerseits. Andererseits stimmte das auch wieder nicht ganz. Weil bei Plotek das Schweigen kein Mittel zum Zweck war. Wenn schon, dann reines Mittel ohne Zweck. In der Religion ist das ja ganz anders. Da wird nicht orientierungs- und absichtslos geschwiegen. Eher im Gegenteil. Da schweigen Mönche als Form der Kontemplation und Meditation. Einzig und allein um Gott näherzukommen, um Gott letztendlich zu finden. Plotek suchte erst gar nicht. Nichts. Außer seine Ruhe. Für Plotek war das Schweigen einzig und allein Mittel, um seine Ruhe zu haben. Schweigen als
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