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Entscheidung auf Mallorca

Entscheidung auf Mallorca

Titel: Entscheidung auf Mallorca
Autoren: C.C. Bergius
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    So unglaublich es klingen mag: das ganze Debakel des stud. rer. pol. Wulf Wesener begann mit einer fallenden Serviette. Hätte dieser blendend aussehende und stets auf sein Äußeres bedachte Münchener Student nicht an einem Mittag des Januar 1955 das exklusive Restaurant »Humplmayr« aufgesucht, und wäre nicht in dem Augenblick, da er den Speiseraum betrat, eine Serviette vom Schoß der attraktiven Düsseldorfer Geschäftsfrau Greta Fischhauer gerutscht, dann würde er wohl kaum in die unseligen und aufregenden Ereignisse verstrickt worden sein, die ihn an den Rand des Abgrundes führen sollten.
    Doch es war so. Er sah das fallende Tuch und das eisblau schillernde Haar einer allein an einem Tisch sitzenden hübschen Dame und war mit wenigen Schritten neben ihr. »Pardon«, sagte er, hob die Serviette auf und legte sie auf den Tisch. »Der Kellner wird Ihnen eine neue bringen.«
    Die Düsseldorferin warf ihm einen dankbaren Blick zu. Ihre wasserblauen Augen glänzten. »Sehr liebenswürdig«, erwiderte sie.
    In der Annahme, der neu eingetretene Gast habe die Dame begrüßt, nahm ein hinzukommender Kellner einen Stuhl des Tisches zurück.
    Wulf Wesener wurde verlegen. »Verzeihung«, sagte er, »hier liegt ein Mißverständnis vor. Ich habe lediglich …«
    »Aber ich bitte Sie«, unterbrach ihn die selbstsichere Geschäftsfrau. »Sie dürfen gerne Platz nehmen. Ich will mich natürlich nicht aufdrängen. Wenn Sie jedoch keine Verabredung haben, würde ich mich freuen …« Sie machte eine einladende Geste.
    Er war verblüfft.
    »Wirklich«, fuhr sie aufmunternd fort. »Mir graulte ohnehin vor den nächsten Stunden. Ich hatte geschäftlich in München zu tun, und mein Flugzeug geht erst am Spätnachmittag.«
    »Wenn es so ist«, antwortete Wulf Wesener jungenhaft und stellte sich vor.
    Sie reichte ihm die Hand und nannte ihren Namen. An ihrem Handgelenk klirrten etliche Goldmünzen.
    Das scheppert ganz schön, dachte er und nahm Platz. Scheint eine von den Wirtschaftswunder-Frauen zu sein.
    »Sie sind Münchener?« fragte sie interessiert.
    Er rückte seine Krawatte zurecht. »Ja und nein. Es kommt darauf an, wie man es nimmt.«
    Die Düsseldorferin schaute ihn aufmunternd an.
    Tolle Lippen hat sie, schoß es ihm durch den Kopf. Dabei dürfte sie schon an die Vierzig sein. Aber sie sieht glänzend aus.
    Der Kellner trat an ihn heran. »Hat der Herr schon gewählt?«
    »Nein«, erwiderte er. »Aber warten Sie …« Er warf einen Blick auf die Speisekarte. »Ich nehme das kleine Gedeck. Und ein Viertel Beaujolais.«
    Greta Fischhauer musterte ihr Gegenüber. Er wirkt männlich, obwohl er noch sehr jung sein dürfte, dachte sie.
    Als der Kellner gegangen war, sah sie Wulf Wesener lächelnd an. »Sie sind mir noch eine Erklärung schuldig.«
    »Ja, richtig! Sie fragten, ob ich Münchener sei. Es kommt darauf an, wie man es nimmt. Ich bin Student und fühle mich immer dort zu Hause, wo ich mich gerade aufhalte.«
    »Sie sind also gewissermaßen ein Vagabund.«
    Seine Gesichtsmuskeln zuckten. »Unsere Generation besteht mehr oder weniger nur aus Vagabunden, weil wir das, was man mit Heim und Heimat bezeichnet, nicht kennengelernt haben.«
    Die Düsseldorferin sah ihn verwundert an.
    »Nehmen Sie nur mich. Meine Wiege stand in Hamburg. Nach dem großen Bombenangriff ging es nach Berlin. Von dort nach Sachsen. Dann nach Österreich. Anschließend nach Thüringen – immer dorthin, wohin mein Vater seinen Betrieb gerade verlagern mußte, bis wir schließlich mit den letzten Habseligkeiten in Württemberg landeten. Dreiundzwanzig Jahre bin ich alt. Zwölfmal habe ich den Wohnort gewechselt. Muß ich mich da nicht in Köln als Kölner und in München als Münchener fühlen? Schon, damit ich irgendwohin gehöre!«
    Seine letzten Worte klangen aggressiv.
    Wie verändert er ist, dachte sie betroffen. Als er die Serviette auf den Tisch legte und mich verbindlich anlächelte, machte er einen ganz anderen Eindruck.
    Wulf Wesener schien zu fühlen, was die Düsseldorferin dachte. »Hab’ ich Sie erschreckt?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Doch, doch«, beharrte er. »Ich sehe es Ihnen an. Bitte, entschuldigen Sie. Aber bei bestimmten Themen gehen mit mir die Pferde durch.«
    »Bei welchen?«
    »Bei allen Gesprächen über unsere Generation.«
    Sie gab sich verständnisvoll. »Ich glaube, ich verstehe Sie.«
    Er lachte überheblich. »Nach den wenigen Sätzen?«
    »Ja. Ihre kurze Schilderung machte mir deutlich, warum die
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