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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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lange Pause
    die sich als endgültig herausstellen kann. So drückte es ein Homosexueller um die Fünfzig aus, den ich in einem irischen Pub in der Soi 14 kennenlernte. Er hatte lange als Layouter in der Regenbogenpresse gearbeitet und es geschafft, etwas Geld auf die hohe Kante zu legen. Zehn Jahre zuvor hatte er festgestellt, daß er nicht mehr den gewohnten Erfolg hatte : Er ging in Nachtlokale, die gleichen Lokale wie sonst, aber immer öfter kehrte er unverrichteter Dinge heim. Selbstverständlich hätte er bezahlen können; aber wenn es schon soweit kam, bezahlte er, wie er sagte, lieber Asiaten. Er entschuldigte sich für diese Bemerkung, hoffte, daß ich darin keine rassistische Anspielung sehe. Nein, nein, natürlich nicht, das könne ich durchaus verstehen: Es ist nicht so erniedrigend, für ein Wesen zu bezahlen, das keinem der Menschen gleicht, die man in der Vergangenheit hätte verführen können und das keinerlei Erinnerungen in einem weckt. Wenn die Sexualität schon zu etwas Käuflichem wird, ist es besser, wenn sie in gewisser Weise unterschiedslos ist. Wie jeder weiß, ist einer der ersten Eindrücke, die man von einer anderen Rasse hat, das Gefühl der Undifferenziertheit, das Gefühl, daß fast alle gleich aussehen. Dieser Eindruck verschwindet nach einem mehrmonatigen Aufenthalt, und das ist schade, denn er entspricht einer Realität: Die Menschen gleichen sich sehr. Man kann natürlich Männer und Frauen unterscheiden; man kann auch, wenn man will, verschiedene Altersgruppen unterscheiden; aber jede weitergehende Unterscheidung hat etwas Pedantisches, das vermutlich auf eine gewisse Langeweile zurückzuführen ist. Ein Mensch, der sich langweilt, entwickelt Unterscheidungskriterien und Hierarchien, das ist typisch für ihn. Hutchinson und Rawlins zufolge entspricht die Entwicklung hierarchisch gegliederter Dominanzsysteme innerhalb einer Tiergesellschaft keinerlei praktischer Notwendigkeit, verschafft ihr keinerlei selektiven Vorteil; sie ist lediglich ein Mittel, um die tödliche Langeweile eines Lebens in freier Natur zu bekämpfen.
        Und so beendete der ehemalige Layouter sein Schwulenleben auf angenehme Weise, indem er sich hübsche dunkelhäutige Jungen leistete, die schlank und muskulös waren. Einmal im Jahr kehrte er nach Frankreich zurück, um seine Angehörigen und ein paar Freunde zu besuchen. Sein Sexualleben sei nicht so ausschweifend, wie ich es mir vielleicht vorstelle, sagte er zu mir; er gehe ein- oder zweimal in der Woche aus, mehr nicht. Er lebe schon seit sechs Jahren in Pattaya; das reizvolle sexuelle Angebot unterschiedlichster Leistungen für wenig Geld habe sein Begehren paradoxerweise besänftigt. Jedesmal, wenn er ausging, sei er sicher, daß er prächtige junge Kerle ficken und lutschen könne und sie ihn ihrerseits mit viel Gefühl und Talent wichsen würden. Und seit er in dieser Hinsicht keinerlei Befürchtungen mehr habe, könne er sich besser auf diese Gelegenheiten vorbereiten und sie mäßvoller wahrnehmen. Wie ich in diesem Augenblick begriff, glaubte er offensichtlich, daß ich mich in der erotischen Hektik der ersten Wochen des Aufenthalts befände, und sah in mir die heterosexuelle Entsprechung zu seinem eigenen Fall. Ich unterließ es, ihn über seinen Irrtum aufzuklären. Er war sehr freundlich, bestand darauf, die Getränke zu bezahlen, und gab mir verschiedene Adressen für eine dauerhafte Unterkunft. Es habe ihn gefreut, sich mit einem Franzosen zu unterhalten, sagte er; die meisten homosexuellen Ausländer seien Engländer, er verstände sich zwar gut mit ihnen, ab und zu habe er jedoch Lust, seine Muttersprache zu sprechen. Er habe nur wenig Kontakt zu der kleinen französischen Gemeinde, die sich um das Restaurant Ma maison gebildet hatte; es seien eher heterosexuelle Spießer im Stil ehemaliger Kolonialbeamter oder Militärs. Wenn ich mich in Pattaya niederlassen sollte, könnten wir vielleicht eines Abends mal gemeinsam ausgehen, in allen Ehren selbstverständlich; er gab mir seine Handynummer. Ich schrieb sie auf, obwohl ich wußte, daß ich ihn nie anrufen würde. Er war sympathisch, liebenswürdig und, wenn man will, sogar interessant. Aber ich hatte einfach keine Lust mehr, menschliche Beziehungen zu unterhalten.

        Ich mietete mir ein Zimmer an der Naklua Road, ein wenig abseits vom Trubel der Stadt. Es besaß eine Klimaanlage, einen Kühlschrank, eine Dusche, ein Bett und ein paar Möbelstücke; die Miete betrug dreitausend
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