Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plattform

Plattform

Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
Vom Netzwerk:
Bath im Monat - etwas über fünfhundert Franc. Ich teilte meiner Bank meine neue Adresse mit und reichte beim Kulturministerium meine Kündigung ein.
        Ganz allgemein gesehen blieb mir nicht mehr viel zu tun in meinem Dasein. Ich kaufte mir einen großen Stapel DIN A4 Papier, um zu versuchen, die Elemente meines Lebens zu ordnen. Das ist etwas, was die Leute öfter tun sollten, ehe sie sterben. Es ist seltsam, wenn man an all die Menschen denkt, die es in ihrem ganzen Leben nie für nötig befunden haben, den geringsten Kommentar, den geringsten Einwand, die geringste Bemerkung zu Papier zu bringen. Das soll nicht heißen, daß diese Kommentare, diese Einwände, diese Bemerkungen einen Adressaten oder irgendeinen Sinn haben würden; aber letztlich finde ich es trotzdem besser, sie niederzuschreiben.

    5

        Sechs Monate später wohne ich noch immer in meinem Zimmer an der Naklua Road; und ich glaube, daß ich meine Aufgabe weitgehend beendet habe. Valérie fehlt mir. Falls ich die Absicht gehabt haben sollte, durch die Niederschrift dieser Seiten das Gefühl des Verlusts abzuschwächen oder es erträglicher zu machen, darf ich mir inzwischen sicher sein, daß dieser Versuch gründlich mißlungen ist: Ich habe noch nie so unter Valeries Abwesenheit gelitten wie jetzt.
        Zu Beginn meines dritten Monats in Pattaya entschloß ich mich, die Massagesalons und Animierlokale doch wieder aufzusuchen. Der Gedanke daran rief zunächst keine Begeisterung in mir hervor, ich fürchtete, ein totales Fiasko zu erleben. Dennoch gelang es mir, eine Erektion zu bekommen und sogar zu ejakulieren; aber Lust habe ich nie wieder empfunden. Das war nicht Schuld der Mädchen, sie waren immer noch genauso kunstfertig, genauso sanft; aber ich war irgendwie unempfindlich geworden. Gewissermaßen aus Prinzip besuchte ich weiterhin einmal in der Woche einen Massagesalon. Dann beschloß ich, damit aufzuhören. Es war trotz allem noch ein menschlicher Kontakt, das war das Dumme. Auch wenn ich nicht daran glaubte, daß ich selbst je wieder Lust empfinden würde, kam es vor, daß das Mädchen einen Orgasmus bekam, insbesondere da mein Glied mir erlaubte, stundenlang durchzuhalten, wenn ich nicht eine kleine Anstrengung unternahm, um das Spiel zu unterbrechen. Ich könnte mich dazu bringen, diese Lust zu begehren, das könnte einen Anreiz darstellen. Aber ich wollte keinerlei Anreiz mehr erleben. Mein Leben war eine leere Form, und
    das sollte es auch bleiben. Wenn ich die Leidenschaft in meinen Körper dringen ließ, würde der Schmerz bald folgen.

        Mein Buch ist fast fertig. Immer öfter bleibe ich jetzt den größten Teil des Tages im Bett liegen. Manchmal schalte ich morgens die Klimaanlage ein und schalte sie abends wieder aus, und dazwischen geschieht absolut nichts. Ich habe mich an das Surren des Geräts gewöhnt, das mich anfangs ziemlich gestört hat; aber ich habe mich auch an die Hitze gewöhnt, mir ist beides recht.
        Schon seit langem kaufe ich keine französischen Zeitungen mehr; ich nehme an, daß die Präsidentschaftswahlen inzwischen stattgefunden haben. Das Kulturministerium muß so oder so seine Arbeit fortsetzen. Vielleicht denkt Marie-Jeanne ab und zu noch an mich, wenn sie das Budget für eine Ausstellung erstellt, ich habe nicht versucht, wieder Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ich weiß auch nicht, was aus Jean-Yves geworden ist; nachdem Aurore ihn entlassen hat, wird er wohl einen weniger hochdotierten Job angenommen haben und vermutlich in einem anderen Sektor, nicht mehr in der Tourismusbranche.

        Wenn das Liebesleben beendet ist, nimmt das ganze Leben etwas Konventionelles und Gezwungenes an. Man behält die menschliche Form bei, das übliche Verhalten, ein gewisses Gerüst; aber man ist nicht mehr, wie man so schön sagt, mit dem Herzen bei der Sache.
        Motorroller fahren die Naklua Road hinunter und wirbeln Staubwolken auf. Es ist schon gegen Mittag. Die Prostituierten begeben sich zur Arbeit, fahren aus den Randvierteln zu den Bars in die Innenstadt. Ich glaube nicht, daß ich heute nach draußen gehe. Oder vielleicht am Spätnachmittag, um eine Suppe an einem der Verkaufsstände an der Kreuzung zu essen.
        Die letzten menschlichen Kontakte, die noch bestehen, wenn man auf das Leben verzichtet, sind jene, die man mit den Kaufleuten unterhält. Was mich angeht, beschränken sich diese Kontakte auf ein paar Worte, die ich auf englisch sage. Ich spreche kein Thai, was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher