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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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nun ein Jahr warten, ehe er wiederkommen konnte. Ich war eher erleichtert, daß er abfuhr, denn sonst hätte er sich bestimmt gern weiter mit mir unterhalten, und diese Aussicht bereitete mir leichte Kopfschmerzen : Es fiel mir inzwischen sehr schwer, ein intellektuelles Gespräch zu ertragen. Ich hatte nicht mehr die geringste Lust, die Welt zu begreifen, nicht einmal, sie kennenzulernen. Unsere kurze Unterhaltung hinterließ dennoch einen tiefen Eindruck bei mir: Er hatte mich sofort davon überzeugt, daß der Islam keine Zukunft
    mehr hatte; wenn man nur ein bißchen darüber nachdachte, lag das auf der Hand. Dieser Gedanke allein genügte, um meinen Haß auszuräumen. Schon wieder begann ich das Interesse an den Nachrichten zu verlieren.

    4

        Bangkok war eine Stadt, die mir noch zu normal war, dort gab es zu viele Geschäftsleute, zu viele Reisegesellschaften. Zwei Wochen später nahm ich den Bus nach Pattaya. So mußte das ja enden, sagte ich mir, als ich in das Fahrzeug stieg; dann stellte ich fest, daß das nicht stimmte und daß es in diesem Fall keinen Determinismus gab. Ich hätte genausogut den Rest meines Lebens mit Valérie in Thailand, in der Bretagne oder egal wo verbringen können. Zu altern ist schon nicht sehr witzig; aber allein zu altern ist noch viel schlimmer.
        Sobald ich meinen Koffer auf den staubigen Boden des Busbahnhofs gestellt hatte, wußte ich, daß ich am Ende meines Weges angekommen war. Ein alter, bis zum Gerippe abgemagerter Junkie mit langem grauen Haar, der eine große Eidechse auf der Schulter sitzen hatte, bettelte vor den Drehtüren. Ich gab ihm hundert Bäht, ehe ich gegenüber in den Heidelberger Hof ging, um ein Bier zu trinken. Dickbäuchige, schnurrbärtige deutsche Päderasten stolzierten in Hawaihemden durch das Lokal. Nicht weit von ihnen wanden sich drei junge russische Mädchen im Höchststadium der Beknacktheit zur Musik ihres ghetto blaster; sie krümmten und wiegten sich buchstäblich auf der Stelle, diese schmutzigen kleinen Lutschmäulchen. In den wenigen Minuten, in denen ich durch die Straßen der Stadt ging, entdeckte ich eine eindrucksvolle Vielfalt menschlicher Erscheinungen: Rapper mit ihren Caps, holländische Flippies, Cyberpunks mit knallroten Haaren, gepiercte österreichische Lesben. Nach Pattaya gibt es nichts mehr, es ist gleichsam ein Sammelbecken für den Abschaum, eine Kloake, in dem die unterschied
    lichsten Rückstände der westlichen Neurose angeschwemmt werden. Ob man homosexuell, heterosexuell oder auch beides ist, Pattaya ist der Bestimmungsort der letzten Chance, anschließend bleibt nur noch der Verzicht auf jegliches Begehren. Die Hotels unterscheiden sich natürlich durch ihren Komfort und ihr Preisniveau, aber auch durch die Staatsangehörigkeit ihrer Gäste. Es gibt zwei große Gemeinden, die Deutschen und die Amerikaner (unter denen sich vermutlich auch Australier und Neuseeländer verbergen). Man trifft auch auf eine ganze Menge Russen, die man an ihrem ungehobelten Auftreten und ihren Gangstermanieren erkennt. Es gibt sogar ein Hotel, das für die Franzosen bestimmt ist und Ma maison heißt; es hat nur ein knappes Dutzend Zimmer, aber das Restaurant ist sehr beliebt. Ich habe dort eine Woche gewohnt, ehe mir klar wurde, daß ich keine sonderliche Vorliebe für Andouillettes oder Froschschenkel hatte; daß ich leben konnte, ohne die französischen Pokalspiele über Satellit zu verfolgen und ohne täglich die Kulturseiten in Le Monde zu lesen. Ich mußte mir sowieso eine längerfristige Unterkunft suchen. Ein normales Einreisevisum für Touristen ist nur einen Monat gültig; aber um eine Verlängerung zu bekommen, braucht man nur in ein Nachbarland zu fahren. Mehrere Agenturen in Pattaya bieten einen eintägigen Ausflug an die kambodschanische Grenze an. Nach einer dreistündigen Fahrt im Minibus muß man ein oder zwei Stunden vor der Zollstation Schlange stehen; man ißt in einem Selbstbedienungsrestaurant auf kambodschanischem Boden zu Mittag (das Mittagessen sowie das Trinkgeld für die Zöllner ist im Preis inbegriffen), dann fährt man wieder zurück. Die meisten Ausländer tun das seit Jahren jeden Monat; das ist viel einfacher, als ein Visum für einen längeren Aufenthalt zu bekommen.
        Man kommt nicht nach Pattaya, um ein neues Leben zu beginnen, sondern um es unter annehmbaren Bedingungen zu beenden. Oder jedenfalls, wenn man es nicht ganz so brutal ausdrücken möchte, um eine Pause einzulegen, eine
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