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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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Terroristen darstellten; ich erkannte keinen dieser Männer wieder.

    Ab und zu besuchte mich Jean-Yves in meinem Zimmer und setzte sich zu mir aufs Bett. Ich war mir seiner Anwesenheit bewußt, empfand eine etwas stärkere Anspannung. Drei Tage nach unserer Ankunft hielt er mir eines Morgens einen kleinen Stapel Papiere hin: Es handelte sich um Fotokopien von Zeitungsartikeln. »Die hat mir der Vorstand von Aurore gestern gefaxt«, fügte er hinzu, »kommentarlos.«
         Der erste Artikel aus dem Nouvel Observateur trug den Titel: »EIN ZIEMLICH EIGENARTIGER CLUB«; zwei Seiten mit vielen Einzelheiten und dazu ein Foto aus dem deutschen Prospekt. Der Journalist warf der Gruppe Aurore unverblümt vor, Sextourismus in den Ländern der Dritten Welt zu unterstützen, und fügte hinzu, daß man unter diesen Umständen die Reaktion der Muslime verstehen könne. Jean-Claude Guillebaud widmete seinen Leitartikel dem gleichen Thema. In einem telefonischen Interview hatte Jean-Luc Espitalier erklärt: »Die Gruppe Aurore, die die internationale Charta für ethischen Tourismus unterzeichnet hat, kann unmöglich solche Abweichungen dulden; die zuständigen Mitarbeiter werden zur Verantwortung gezogen.« Das Dossier wurde mit einem heftigen, aber dokumentarisch kaum belegten Artikel von Isabelle Alonso aus dem Journal du dimanche fortgesetzt, der den Titel trug: »DIE RÜCKKEHR DER SKLAVEREI.« Françoise Giroud übernahm den Begriff in ihrer wöchentlichen Glosse: »Was bedeutet schon der Tod einiger satter, reicher Europäer - das ist bedauerlich zu sagen - angesichts Hunderttausender besudelter, erniedrigter, zur Sklaverei verdammter Frauen überall auf der Welt?« schrieb sie. Das Attentat in Krabi hatte der Sache natürlich einen beachtlichen Widerhall verschafft. Libération bildete auf der ersten Seite ein Foto der bereits heimgekehrten Überlebenden bei ihrer Ankunft am Flughafen Roissy ab und betitelte das Ganze mit den Worten: »ZWEIDEUTIGE OPFER«. In seinem Leitartikel nahm Jérôme Dupuy die thailändische Regierung aufs Korn, weil sie Prostitution und Drogenhandel stillschweigend duldete und wiederholt die demokratischen Grundregeln verletzt hatte. Paris-Match veröffentlichte unter dem Titel »BLUTBAD IN KRABI « einen vollständigen Bericht über die Nacht des Grauens. Sie hatten sich Fotos beschafft, deren Qualität allerdings sehr schlecht war - es waren per Fax übermittelte Fotokopien in Schwarzweiß, die alles mögliche darstellen konnten, man erkannte nur mit Mühe ein paar menschliche Körper. Parallel dazu veröffentlichten sie das Bekenntnis eines Sextouristen, der aber nichts mit dieser Angelegenheit zu tun hatte - er war auf eigene Faust unterwegs und fuhr eher auf die Philippinen. Jacques Chirac gab sogleich eine Erklärung ab und prangerte, nachdem er sein Entsetzen angesichts des Attentats bekundet hatte, das »unverantwordiche Verhalten einiger unserer Landsleute im Ausland« an. Lionel Jospin reagierte unmittelbar danach und erinnerte daran, daß der Sextourismus, selbst mit Volljährigen, gesetzlich verboten sei und geahndet werde. In den Artikeln, die anschließend in Le Figaro und Le Monde erschienen, wurde die Frage gestellt, mit welchen Mitteln man gegen dieses Übel vorgehen könne und welche Haltung die internationale Öffentlichkeit dazu einnehmen solle.
        In den darauffolgenden Tagen versuchte Jean-Yves mehrfach, Gottfried Rembke telefonisch zu erreichen; schließlich gelang es ihm. Dem Chef der TUI tat die Sache leid, aufrichtig leid, aber er konnte, wie er sagte, nichts machen. Als touristisches Ziel sei Thailand sowieso für mehrere Jahrzehnte out. Außerdem war die Polemik über Frankreichs Grenzen hinausgedrungen und hatte in Deutschland ein gewisses Echo gefunden; die Deutschen waren zwar geteilter Meinung, aber die Mehrheit verurteilte trotz allem den Sextourismus; unter diesen Umständen zöge er es vor, aus dem Projekt auszusteigen.

    2

        Genausowenig wie ich die Gründe für meine Überführung nach Bangkok begriffen hatte, begriff ich, warum man mich nun nach Paris zurückbrachte. Das Personal des Krankenhauses schätzte mich nicht sonderlich, es fand mich vermutlich zu träge; sogar im Krankenhaus, bis hin zum Sterbebett, ist man gezwungen, den Leuten etwas vorzumachen. Das Pflegepersonal sieht es gern, wenn es bei dem Kranken auf undiszipliniertes Verhalten und einen gewissen Widerstand stößt, den es zu brechen gilt - selbstverständlich nur zum Besten
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