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Titel: Plattform
Autoren: Michel Houellebecq
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eine traurige, bedrückende Barriere um mich errichtet. Es ist wahrscheinlich, daß ich Asien nie richtig begreifen werde, das ist aber im übrigen unwichtig. Man kann auf der Welt leben, ohne sie zu begreifen, man muß es nur verstehen, etwas zu essen, Liebkosungen und Liebe von ihr zu erhalten. In Pattaya sind das Essen und die Liebkosungen nach westlichen und sogar nach asiatischen Kriterien nicht teuer. Was die Liebe betrifft, fällt es mir schwer, darüber zu sprechen. Ich bin jetzt überzeugt, daß Valérie für mich nur eine wundervolle Ausnahme war. Sie gehörte zu jenen Menschen, die imstande sind, ihr Leben dem Glück eines anderen Menschen zu widmen und darin ihr Ziel zu sehen. Es ist ein rätselhaftes Phänomen. Das Glück, die Einfachheit und die Freude gehen darauf zurück; aber ich weiß noch immer nicht, wie und warum dieses Rätsel entstehen kann. Und wenn ich schon die Liebe nicht begreife, was nützt es mir dann, daß ich das übrige begriffen habe?

        Bis zum Schluß werde ich ein Kind Europas, ein Kind des Kummers und der Schande bleiben. Ich habe keinerlei Hoffnungsbotschaft zu verkünden. Ich empfinde keinen Haß auf die westliche Welt, höchstens tiefe Verachtung. Ich weiß nur, daß wir alle, die wir hier sind, von Egoismus, Masochismus und Tod durchdrungen sind. Wir haben ein System geschaffen, in dem es ganz einfach unmöglich geworden ist zu leben; und dieses System exportieren wir noch dazu.
        Es wird Abend, vor den Terrassen der beer bars leuchten die bunten Lichterketten auf. Die deutschen Senioren setzen sich und legen die Hand schwer auf den Schenkel ihrer jungen Begleiterin. Mehr als jedes andere Volk kennen sie Kummer und Schande, sie verspüren das Bedürfnis nach zartem Fleisch, nach einer sanften und unendlich erfrischenden Haut. Mehr als jedes andere Volk kennen sie den Wunsch nach ihrer eigenen Vernichtung. Nur selten trifft man bei ihnen die pragmatische, selbstzufriedene Vulgarität der angelsächsischen Sextouristen an, die Manie, unablässig die Leistungen und die Preise zu vergleichen. Und genauso selten kommt es vor, daß sie Gymnastik treiben und ihren eigenen Körper in Form halten. Im allgemeinen essen sie zuviel, trinken zuviel Bier und setzen Fett an; die meisten von ihnen dürften bald sterben. Sie sind zumeist herzlich, scherzen gern, sind stets bereit, eine Runde auszugeben, Geschichten zu erzählen; ihre Gesellschaft ist beruhigend und zugleich traurig.
        Jetzt habe ich den Tod verstanden; ich glaube nicht, daß er mir sehr weh tun wird. Ich habe den Haß, die Verachtung, den Verfall und verschiedene andere Dinge kennengelernt. Ich habe sogar kurze Momente der Liebe kennengelernt. Nichts von mir wird mich überleben, und ich verdiene auch nicht, daß mich etwas überlebt, ich bin mein ganzes Leben lang in jeder Hinsicht ein mittelmäßiger Mensch gewesen.
        Ich stelle mir vor, warum weiß ich nicht, daß ich mitten in der Nacht sterben werde, und empfinde noch eine leichte Beunruhigung bei dem Gedanken an den Schmerz, der die Trennung von den körperlichen Banden begleiten wird. Ich habe Mühe, mir vorzustellen, daß das Leben völlig schmerzlos und unbewußt zu Ende geht; ich weiß natürlich, daß ich unrecht habe, dennoch fällt es mir schwer, mich davon zu überzeugen.
        Einheimische werden mich ein paar Tage später finden, ziemlich schnell sogar; in diesem Klima beginnen die Leichen sehr schnell zu stinken. Sie werden nicht wissen, was sie mit mir anfangen sollen, und sich vermutlich an die französische Botschaft wenden. Ich bin bei weitem kein Bedürftiger, mein Fall wird leicht zu erledigen sein. Es bleibt sicherlich noch ziemlich viel Geld auf meinem Konto; ich weiß nicht, wer es erben wird, vermutlich der Staat oder irgendwelche weit entfernten Verwandten.
        Im Gegensatz zu anderen asiatischen Völkern glauben die Thais nicht an Geister und interessieren sich nur wenig für das, was mit den Leichen geschieht; die meisten werden direkt in Sammelgräbern beigesetzt. Da ich keine genauen Anweisungen hinterlasse, wird es mir genauso ergehen. Eine Sterbeurkunde wird ausgestellt, und in Frankreich, in weiter Ferne, wird dann eine Akte abgehakt. Ein paar fliegende Händler, die es gewohnt sind, mich in diesem Viertel zu sehen, werden ratlos den Kopf schütteln. Meine Wohnung wird an einen anderen Ausländer vermietet. Man wird mich vergessen. Man wird mich schnell vergessen.
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