Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und der Spion

Maigret und der Spion

Titel: Maigret und der Spion
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
 
    1
    Adèle und ihre Freunde
    Wer ist das?«
    »Weiß ich nicht! Er ist das erste Mal da«, sagte Adèle und stieß den Rauch ihrer Zigarette aus.
    Träge nahm sie die übereinandergeschlagenen Beine auseinander, strich sich das Haar an den Schläfen z u recht und blickte in einen der Spiegel an der Wand des Saales, um sich davon zu überzeugen, daß ihr Makeup noch einwandfrei war.
    Sie saß auf einer granatroten Samtbank an einem Tisch mit drei Gläsern Portwein. Ein junger Bursche saß zu ihrer Linken, ein anderer zu ihrer Rechten.
    »Ihr erlaubt, ihr Süßen?«
    Sie schenkte ihnen ein nettes, vertrauliches Lächeln, stand auf, ging mit wiegenden Hüften quer durch den Raum und trat an den Tisch des Neuankömmlings.
    Die vier Musiker, die aufspielten, ergänzten auf ein Zeichen des Patrons hin den Klang ihrer Instrumente noch um den ihrer Stimmen. Ein einziges Paar tanzte: ein Mädchen, das zum Lokal gehörte, und der Eintänzer.
    Und wie fast jeden Abend wirkte der Saal leer. Er war zu groß. Die Spiegel an den Wänden verlängerten noch die Perspektive, die nichts unterbrach als die roten Bä n ke und der fahle Marmor der Tische.
    Die beiden Burschen, zwischen denen Adèle gesessen hatte, rückten zusammen.
    »Sie ist reizend«, seufzte Jean Chabot, der jüngere der beiden, der mit blasiertem Gehabe seinen Blick aus hal b geschlossenen Augen im Saal umherwandern ließ.
    »Und was für ein Temperament!« fügte sein Freund Delfosse hinzu, auf einen Rohrstock mit goldenem Knauf gestützt.
    Chabot mochte sechzehneinhalb Jahre alt sein, Delfo s se, magerer, kränklich wirkend, mit unregelmäßigen G e sichtszügen, nicht älter als achtzehn. Doch sie hätten beide entrüstet protestiert, hätte jemand behauptet, sie hätten noch irgendwelche Freuden des Lebens vor sich.
    »He, Victor!«
    Chabots vertrauliche Anrede galt dem Kellner, der vorbeikam.
    »Kennst du den Typ, der gerade gekommen ist?«
    »Nein, aber er hat Champagner bestellt.«
    Und Victor fügte mit einem Augenzwinkern hinzu:
    »Adèle kümmert sich um ihn!«
    Er entfernte sich mit seinem Tablett. Einen Auge n blick pausierte die Musik, um dann mit einem Boston fortzufahren. Am Tisch jenes spendablen Gastes öffnete der Patron persönlich die Champagnerflasche, deren Hals er mit einer Serviette umwickelte.
    »Glaubst du, sie schließen spät?« fragte Chabot leise.
    »Um zwei, halb drei, wie immer!«
    »Trinken wir noch was?«
    Sie waren nervös. Vor allem der Jüngere, der einen nach dem anderen mit starrem Blick musterte.
    »Wieviel mag es sein?«
    Doch Delfosse zuckte die Achseln und herrschte ihn an:
    »Halt doch den Mund!«
    Sie sahen Adèle fast genau ihnen gegenüber am Tisch des unbekannten Gastes sitzen, der Champagner bestellt hatte. Er war ungefähr vierzig, mit schwarzem Haar und mattem Teint, ein Rumäne, ein Türke oder dergleichen. Er trug ein rosa Seidenhemd. Seine Krawatte zierte ein großer Brillant. Er achtete kaum auf die Tänzerin, die, auf seine Schulter gestützt, lachend auf ihn einredete. Als sie ihn um eine Zigarette bat, hielt er ihr ein gold e nes Etui hin und sah weiter vor sich hin.
    Delfosse und Chabot sprachen nicht mehr. Sie taten, als betrachteten sie den Fremden mit Geringschätzung. In Wirklichkeit aber imponierte er ihnen gewaltig! Ke i ne Einzelheit entging ihnen. Sie merkten sich die Art, wie die Krawatte gebunden war, den Schnitt des Anzugs bis hin zu den Gesten des Champagnertrinkers.
    Chabot trug einen Konfektionsanzug und Schuhe, die schon zweimal neu besohlt worden waren. Die Kle i dung seines Freundes, wiewohl aus besserem Stoff, saß schlecht. Delfosse hatte nun einmal schmale Schultern, eine Trichterbrust und die ungelenke Figur eines J u gendlichen, der zu schnell gewachsen ist.
    »Noch einer?«
    Der Samtvorhang am Eingang wurde zur Seite g e schoben. Ein Mann reichte dem Pikkolo seine Melone, blieb einen Augenblick stehen, um sich im Saal umzus e hen. Er war groß, schwerfällig und dick. Sein Gesicht war gelassen, und er achtete überhaupt nicht auf den Kellner, der ihm einen Tisch empfehlen wollte. Er setzte sich wahllos irgendwohin.
    »Kann ich ein Bier haben?«
    »Wir haben nur englisches. Stout, Pale Ale, Scotch Ale?«
    Und der Gast hob die Achseln, um auszudrücken, daß ihm das völlig gleichgültig war.
    Es war nicht mehr Betrieb als vorher, nicht mehr als jeden Abend. Ein Paar auf der Tanzfläche. Die Tanzm u sik, die schließlich kaum mehr war als Hintergrundsg e räusch. An der Bar ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher