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Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma
Autoren: Brent Weeks
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    Kip kroch in der Dunkelheit auf das Schlachtfeld zu. Darüber lag schwer der Nebel, erstickte jedes Geräusch und verschleierte das Sternenlicht. Obschon es von den Erwachsenen gemieden wurde und den Kindern verboten war, hatte er hundert Mal auf dem freien Feld gespielt – tagsüber. Heute Nacht war sein Vorhaben ernster.
    Oben auf dem Hügel angekommen blieb Kip stehen und zog sich die Hose hoch. Das Wasser des hinter ihm liegenden Flusses zischte. Vielleicht waren es aber auch die Krieger, die seit sechzehn Jahren tot auf seinem Grund lagen. Er drückte die Schultern durch und ignorierte seine Fantasien. Der Nebel gab ihm ein Gefühl von Schwerelosigkeit, als schwebe er außerhalb der Zeit. Doch auch wenn es keine Beweise dafür gab, die Sonne kam. Bis sie aufging, musste er am anderen Ende des Schlachtfelds sein. Bis dorthin hatte er seine Suche niemals zuvor ausgedehnt.
    Nicht einmal Ramir kam bei Nacht mit ihm hierher. Jeder wusste, dass es bei den Getrennten Felsen spukte. Aber Ram brauchte seine Familie nicht zu ernähren; seine Mutter verrauchte ihren Lohn nicht.
    Kip umfasste sein kleines Gürtelmesser mit festem Griff und setzte sich in Bewegung. Es waren nicht nur die unruhigen Toten, die ihn in die Immernacht hinabziehen könnten. Man hatte ein Rudel riesiger Javelinas durch die Nacht streifen sehen, mit grausamen Hauern und scharfen Hufen. Sie gaben eine gute Mahlzeit ab, wenn man ein Luntenschlossgewehr hatte, eiserne Nerven und einen zielsicheren Arm, aber seit der Krieg der Prismen alle Männer der Stadt ausgelöscht hatte, gab es nicht mehr viele Menschen, die für ein wenig Schinken ihr Leben riskierten. Rekton war ohnehin nur noch ein Schatten dessen, was es einst gewesen war. Die Alkaldesa war nicht erpicht darauf, dass die Bewohner ihrer Stadt ihr Leben wegwarfen. Und davon ganz abgesehen hatte Kip auch kein Gewehr.
    Außerdem waren die Javelinas nicht die einzigen Kreaturen, die durch die Nacht streiften. Einem Berglöwen oder einem Goldbären würde ein gut durchwachsener Kip wahrscheinlich ebenfalls munden.
    Ein leises Heulen ertönte tief aus dem Nebel und der Dunkelheit. Kip erstarrte. Oh, es gab auch Wölfe. Wie konnte er die Wölfe vergessen?
    Ein anderer Wolf antwortete aus weiterer Entfernung. Ein peinigendes Geräusch, die Stimme der Wildnis selbst. Man konnte nicht anders, als zu erstarren, wenn man es hörte. Es war die Art von Schönheit, die einen dazu brachte, sich in die Hose zu machen.
    Kip biss sich auf die Lippen und setzte sich in Bewegung. Er hatte das deutliche Gefühl, dass er verfolgt wurde. Dass jemand sich an ihn heranpirschte. Er blickte hinter sich. Da war nichts. Natürlich. Seine Mutter sagte immer, er habe zu viel Fantasie. Geh einfach weiter, Kip. Die Tiere haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen. Außerdem war es ja gerade das Tückische an diesem Heulen, dass es immer viel näher klang, als es wirklich war. Diese Wölfe waren wahrscheinlich meilenweit entfernt.
    Vor dem Krieg der Prismen war das Land fruchtbar gewesen. Direkt am Fluss gelegen, dem Umber, hatten die Bauern hier Feigen, Trauben, Birnen, Kratzbeeren und Spargel angebaut – alles Erdenkliche war auf dieser Erde gediehen. Es waren jetzt sechzehn Jahre vergangen seit der letzten Schlacht in dem Jahr vor Kips Geburt. Und noch immer lag die Ebene zerrissen und vernarbt da. Einige verbrannte Balken von alten Häusern und Scheunen ragten aus dem Schmutz. Granaten hatten tiefe Furchen und Krater hinterlassen. Diese Krater, die jetzt erfüllt waren von waberndem Nebel, sahen aus wie Seen, wie Schächte, wie Fallen. Grundlos. Unauslotbar.
    Der größte Teil der Magie, die in der Schlacht benutzt worden war, hatte sich in den Jahren, in denen das Land der Sonne ausgesetzt gewesen war, früher oder später aufgelöst, aber hier und da glitzerten noch immer zerbrochene grüne Luxin-Speere. Splitter von massivem Gelb auf dem Boden durchschnitten das zäheste Schuhleder.
    Plünderer hatten schon längst alle wertvollen Waffen und Rüstungen sowie das Luxin vom Schlachtfeld geholt, aber während die Jahreszeiten verstrichen und der Regen fiel, kamen in jedem Jahr weitere Geheimnisse zu Tage. Das war es, worauf Kip hoffte – und was er suchte, war in den ersten Strahlen der Morgendämmerung am besten zu sehen.
    Die Wölfe waren verstummt. Nichts war schlimmer als ihr beängstigendes Geheul, aber wenn er es hörte, wusste er zumindest, wo sie waren. Jetzt … Kip schluckte gegen den harten Knoten in
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