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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
Autoren: Maximilian Dorner
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2.
    Die meisten Menschen gehen lieber unter, als sich helfen zu lassen.
    In der Wiese stecken abgebrannte Fackeln, vor dem alten Zirkuszelt stapelt sich schmutziges Geschirr auf Biertischen, halb volle Weingläser stehen in Gruppen zusammen. Die letzten Gäste tragen die Speisen des Vorabends vom Buffet zusammen, toasten Baguettescheiben, Johanna schenkt Kaffee aus. An der Stirnseite der langen Tafel auf dem Holzbalkon sitzt einer im Rollstuhl, neben sich zwei Krücken, Max. Der ist es. Er wird von den anderen behandelt wie ein Prinz, dessen Inkognito aufgeflogen ist. Er kommt gar nicht nach, alles abzulehnen, was ihm hingehalten wird: Käse, gebratenes Gemüse, ein Hähnchenschenkel, Johannas geschändete Geburtstagstorte. Dabei schaut er immer wieder nach unten.
    Neben dem Zelt funkeln Sonnenstrahlen im Wasser. Der Schwimmteich ist nur eine steile Holztreppe weit weg. Vierzehn kaum bewältigbare Stufen, zählt er. Immerhin an beiden Seiten ein Geländer, sonst wäre es vollkommen unmöglich. Da muss er hin, unter allen Umständen.
    Nach dem Frühstück, die anderen Gäste sind zu einem Spaziergang aufgebrochen, nimmt Max die Krücken und stemmt sich daran hoch. Er spürt, dass Johanna ihn aus der Küche im Blick behält. Um ihr vorzugaukeln, dass er noch an etwas anderes als den Teich denken kann, bleibt er an der Brüstung stehen und schaut in das Tal. Sobald er jedoch Wasser in der Spüle plätschern hört, wirft er eine Krücke nach unten. Sie landet genau da, wo er sie haben möchte.
    » Alles in Ordnung?«, fragt Johanna.
    » Alles bestens, ich schaue mir mal den Teich an.« Er tut so, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Und nicht die größtmögliche Herausforderung an diesem Morgen.
    Den Abstieg geht er mit dem Respekt eines erfahrenen Kletterers vor der Steilwand an. Ein falscher Tritt, und es ist vorbei. Er weiß das eigentlich und sagt es sich dennoch bei jeder Bewegung vor wie ein Mantra.
    Die Planken der Umfassung des Beckens geben nach, so dass er sich auch dort konzentrieren muss. Nass wären sie für ihn nicht begehbar. Er ärgert sich für einen Moment darüber, seine Umgebung dauernd an den eigenen, sehr speziellen Bedürfnissen zu messen. Routiniert maßregelt er sich selbst: Das ist Johannas und Ulrichs Teich, sie können so rutschige Platten verlegen, wie sie wollen. Außerdem sind sie ja trocken.
    » Du brauchst keine Badehose«, ruft Johanna von oben herunter. » Und wenn was ist, ich bin in der Küche. Schrei einfach!«
    Selbst ein hungriges Krokodil könnte Max nicht davon abhalten, sich auf der Bank unter einer abgestorbenen Linde auszuziehen und nur mit den Krücken angetan bis an den Rand des Teiches zu tasten. Irgendjemand hat seine blau-rote Luftmatratze liegengelassen, das Holz unter ihr ist noch dunkel von der Nässe. Er stupst sie mit einer Krücke aus dem Weg. Die drei Stufen ins Wasser sind so glitschig, dass er seinen Fuß sofort zurückzieht. So kommt er nicht hinein. Nach kurzem Überlegen schiebt er die Luftmatratze an die Kante und lässt sich darauf sinken, packt sein linkes Knie, als gehörte es nicht zu ihm, und taucht das Bein ins Wasser. Da er nichts spürt, fasst er auch mit der Hand hinein: lauwarm. Er wirft einen Blick hinauf zum Balkon und gleitet hinein. Aber da ist kein Grund! Reflexartig zieht er mit der einen Hand die Luftmatratze zu sich, während er sich mit der anderen abstößt. Jetzt müsste er schwimmen, jetzt müssten seine Beine sich beugen und strecken, so wie er es vor dreißig Jahren gelernt hat. Aber sie tun es nicht, sie hängen wie Senkbleie nach unten. Er ist zweigeteilt, oben ein Mensch und ab der Hüfte eine Marmorstatue.
    Ich kann nicht mehr schwimmen! – Der Satz knirscht wie splitterndes Holz, etwas reißt in ihm auf. Max merkt es nicht einmal. Für den Moment ist er vollauf damit beschäftigt, nicht unterzugehen.
    » Wenn du Hilfe brauchst, gib Bescheid!« Johanna steht winkend an der Balkonbrüstung.
    Max sieht zu ihr hoch, schlagartig grinsend, und ruft: » Alles bestens. Das Wasser ist herrlich!«
    Sie hebt beide Hände, lässt sie wieder fallen. Freut sich für ihn und verschwindet in die Küche.
    Max rudert mit der Luftmatratze zurück an den Rand, zu den rutschigen Stufen. Während er sich mühsam herauszieht, denkt er: wie im Film, wenn die Schiffbrüchigen sich ermattet ans Ufer schleppen. Dort bleibt er erst einmal atemlos liegen, lässt die Luftmatratze davontreiben wie eine rettende Planke, die ihren Zweck
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