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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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    Ein Lebenslauf – überwiegend bei Bewerbungen erforderlich – beginnt meist folgendermaßen: Ich wurde am soundsovielten als Tochter des… sowie seiner Ehefrau (folgt Name) in… (folgt Ort) geboren. Prominente Mitbürger, die es aus eigener Kraft zu etwas gebracht haben, sind oft das vierte oder fünfte Kind eines ehrbaren Handwerkers, Schauspieler meist das schwarze Schaf der Familie, weil einen unbürgerlichen Beruf ausübend, und Popstars kommen, wenn man ihren Biographien glauben darf, samt und sonders aus den Slums.
    Bei mir trifft von alledem nichts zu. Als ich im Mai 1934 geboren wurde, war die Wirtschaftskrise schon längst vorbei und der nächste Krieg noch nicht in Sicht. Es herrschten also sogenannte geordnete Verhältnisse.
    Mein Vater stand im letzten Jahr seiner kaufmännischen Ausbildung (er hatte das Abitur erst im zweiten Anlauf geschafft und war deshalb ein bißchen spät dran), meine Mutter besuchte eine Dolmetscherschule; und es ist mir noch heute völlig rätselhaft, weshalb die beiden so früh geheiratet haben. Später habe ich sie einmal danach gefragt.
    »Ach, weißt du«, sagte meine Mutter, »ich habe damals für Clark Gable geschwärmt, und dein Vater hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm. Bis auf den Bart natürlich, aber dazu habe ich ihn einfach nicht überreden können.«
    »Aber deshalb heiratet man doch nicht gleich.«
    »Vati konnte aber auch hervorragend tanzen. Außerdem trug er meistens Knickerbockers, und das fand ich todschick.«
    Mein Vater wiederum hatte ein Faible für langhaarige Brünette, obwohl man damals blond trug und Bubikopf die neueste Mode war; aber meine Mutter hatte sich von ihrer Lockenpracht nicht trennen wollen. Außerdem spielten beide gerne und sehr gut Tennis.
    Es soll bei künftigen Ehepartnern schon weniger Gemeinsamkeiten gegeben haben. Jedenfalls wurde im März 1932 geheiratet. Die etwas überraschten Schwiegereltern stifteten zur Hochzeit die Küchenmöbel sowie ein Schlafzimmer in japanischer Kirsche. Von mütterlicher Seite kam das Wohnzimmer dazu und ein Klavier. Kochtöpfe, Bügeleisen, Kaffeewärmer und weitere unerläßliche Gebrauchsartikel schenkten die Hochzeitsgäste; und das jungvermählte Paar begann den Ehealltag.
    Der wurde ein Reinfall. »Ich hab’ doch vom Kochen keine Ahnung gehabt! Und wenn wir auch mittags beide in der Kantine gegessen haben, so mußte ich doch wenigstens ein genießbares Frühstück auf den Tisch bringen.« Meine Mutter schüttelte sich noch nachträglich bei dem Gedanken an ihre vergeblichen Kämpfe mit Kochtopf und Bratpfanne. »Ich weiß noch, wie ich Vati einmal wütend angebrüllt habe, weil er über den verbrannten Toast gemeckert hat: Warum kannst du nicht auch wie andere Männer die Zeitung lesen, anstatt darauf zu achten, was du ißt?«
    Bevor die junge Ehe an hartgekochten Frühstückseiern und Oberhemden mit bizarr geformten Brandlöchern zerbrach, starb mein Großvater und hinterließ eine sehr vitale pensionsberechtigte Witwe von 43 Jahren, die sich des führerlosen Haushalts annahm und das Eheschiff wieder flottmachte. Zehn Monate später wurde ich geboren.
    Meine Aufzucht wurde Omi anvertraut, die ja ohnehin die Schlüsselgewalt und darüber hinaus entschieden mehr Erfahrung im Umgang mit Kleinkindern hatte als meine Mutter. Meine Eltern sah ich nur abends. Manchmal auch gar nicht, weil ich bei ihrer Heimkehr schon schlief, und darum habe ich wohl damals die Familienverhältnisse ein bißchen durcheinandergebracht.
    »Eine Zeitlang hast du zu deiner Großmutter ›Mutti‹ gesagt und zu mir ›Tante Reni‹ erzählte meine Mutter, »während Vater abwechselnd ›Onkel Heinz‹ oder ›der Mann da‹ hieß.«
    Die etwas befremdeten Nachbarn fingen an zu tuscheln. Außerdem war ich ein bißchen bleichsüchtig geraten. Der Arzt empfahl Licht, Luft und Sonne. Und so beschloß man einen generellen Wohnungswechsel. Als künftige Heimstatt wurde der Berliner Vorort Zehlendorf gewählt, und dort wiederum der äußerste Zipfel – also quasi ein weiterer Vorort – nämlich ›Onkel-Toms-Hütte‹.
    Eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft hatte sich in Zusammenarbeit mit einigen wagemutigen Architekten entschlossen, eine neue Art von Mietshäusern zu konzipieren. In diesen Häusern sollte es nicht mehr als höchstens sechs Wohnungen geben, aber viel Grün drumherum, sie sollten freundlich aussehen und auch noch finanziell erschwinglich sein.
    So entstand also in Zehlendorf eine völlig neue
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