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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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knisternden Taftungetümen in Karomustern.
    Wenn ich heute an die Großstadtkinder denke, die vergebens nach einer Spielmöglichkeit suchen, dann kann ich mich sogar heute noch nur beneiden. Wir konnten und durften überall spielen. Rundherum war Wald, ein paar hundert Meter entfernt gab es eine große Spielwiese; auf dem Fahrdamm rollerten wir – wann kam da schon mal ein Auto? – und den Bürgersteig verzierten wir mit Hopse-Feldern. Überall heißt dieses Spiel ›Himmel und Hölle‹. In Berlin heißt es Hopse.
    Im Sommer gingen wir zum Baden an die Krumme Lanke, jenen so oft besungenen See, um den sich ähnliche Gerüchte rankten wie um den legendären schottischen Loch Ness. Omis ständige Ermahnungen lauteten dann auch immer:
    »Und daß du mir nicht zu tief hineingehst, Kind! Nur bis zum Bauchnabel. So ein Wels kann sehr gefährlich werden. Und gib acht auf die Strudel!«
    Später bin ich oft quer über den See geschwommen, habe aber weder den Wels noch die angeblichen Wasserstrudel entdeckt.
    Im Winter zogen wir zur Rodelbahn, wie die schon erwähnte Spielwiese offiziell hieß. Da gab es die große und die kleine, letztere blieb hauptsächlich Kindern vorbehalten. Leider kreuzten sich beide Bahnen im Auslauf, und die manchmal unvermeidlichen Karambolagen galten als harmlos, wenn lediglich die Schlitten splitterten. Im übrigen erwarb ich dort weitere Kenntnisse der bei uns zu Hause verpönten Heimatsprache.
    »Dämliche Zimtzicke! Haste Tomaten uff de Oogen? Laß dir ’ne Brille verpassen, damit de siehst, wenn eener kommt. Wenn de mir noch eenmal mang de Beene fährst, denn mach ick Appelmus aus dir!«
    An den Wochenenden durften wir Kinder ohnehin nicht auf die Rodelbahn. Dann wurde sie von Erwachsenen bevölkert, vor allem von jenen, die im Stadtzentrum wohnten; und sie glich dem Petersplatz in Rom am Ostersonntag.
    Frau Zillig ließ sich von der drangvollen Enge nicht abhalten und marschierte an einem Samstagnachmittag zum Rodeln. Nach einer halben Stunde war sie wieder da, mit aufgeplatzter Augenbraue, geschwollenem Arm und dem Schlittenseil in der klammen Hand. Nun war meine Großmutter im Ersten Weltkrieg in Erster Hilfe ausgebildet worden, fühlte sich seitdem kompetent und nahm sich der Verletzten an.
    »Zeigen Sie den Arm mal her!« befahl sie Frau Zillig. Dann drehte sie ihn nach allen Seiten, befühlte ihn gründlich, ignorierte die Schmerzensschreie der Patientin und meinte beruhigend:
    »Das ist nur eine leichte Verstauchung. Machen Sie mal ordentlich Umschläge mit essigsaurer Tonerde.«
    Als der solchermaßen behandelte Arm am nächsten Morgen auf den doppelten Umfang angeschwollen war, rief Omi sicherheitshalber ein Taxi. »Bringen Sie die Dame zum Oskar-Helene-Heim«, trug sie dem Fahrer auf.
    Der musterte seinen Fahrgast mißtrauisch und fragte besorgt: »Sieht ja ziemlich blaß um de Neese aus, wird se mir ooch nicht aus de Latschen kippen?« Dann fuhr er aber doch los.
    Omi heizte inzwischen die Kachelöfen in Zilligs Wohnung, machte die Betten, kochte Kaffee und wartete. Nach drei Stunden kam die Patientin zurück, den Arm bis zur Schulter eingegipst und besessen von durchaus berechtigten Zweifeln an Omis medizinischen Kenntnissen.
    Zum Einkaufen gingen wir in die Ladenstraße. Sie hieß und heißt auch heute noch so, obwohl sie mit einer Straße herzlich wenig zu tun hat. Rechts und links vom U-Bahnhof ›Onkel-Toms-Hütte‹ zieht sich ein überdachter Weg entlang, von den tieferliegenden Gleisen durch ein massives Gitter getrennt. An diesen beiden Wegen liegt ein Geschäft neben dem anderen; mitten darin sogar ein Kino.
    Wir kauften bei Otto, obwohl es noch andere Lebensmittelgeschäfte gab, aber bei Otto kauften alle Leute, die wir kannten. Er war natürlich teurer als der Konsum, aber nicht so teuer wie Sieberts Delikatessengeschäft. Ich wäre ja lieber zur Butter-Berta gegangen; aber um diesen Laden machte Omi immer einen großen Bogen.
    »Da gehen nur die gewöhnlichen Leute hin«, begründete sie ihren Boykott.
    »Was sind denn gewöhnliche Leute?« wollte ich wissen.
    Omi äußerte sich nicht näher. Was man selber nicht weiß, kann man Kindern nur sehr schwer erklären.
    Am liebsten ging ich in Sakautzkys Kurzwarenladen. Der wurde von den ältlichen Schwestern Ida und Alma geführt, von denen die eine lang und hager, die andere zwei Köpfe kleiner und bucklig war. Das Geschäft war winzig klein und der überwiegende Teil des trotzdem reichhaltigen Sortiments in riesigen
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