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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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so ’nem alten Markknochen dran. Und daneben hängt Klopapier. Das muß man auch mitnehmen, auf der Toilette liegen nämlich bloß alte Zeitungen.«
    Mümmchen staunte. »Wo badet denn deine Oma, wenn sie keine eigene Badewanne hat?«
    Darüber hatte ich mir noch nie den Kopf zerbrochen. »Weiß ich nicht. Ich glaube, alte Leute baden überhaupt nicht mehr. Die werden ja auch nicht so schnell dreckig wie Kinder.«
    Zweiter Punkt meines nie erlahmenden Interesses war Uromas Morgentoilette. Über das Hemd kam ein Korsett, dann ein Unterrock, dann eine Art Halbrock, dann noch irgend etwas, das ich nicht kannte, und schließlich das Kleid. Aber nicht die vielen Wäschestücke waren es, die mich faszinierten – Omi besaß auch einige, über deren Zweck ich mir nie klar wurde –, sondern Uromas Frisur. Die schütteren grauen Haare waren nämlich zu einem unverhältnismäßig dicken Zopf geflochten und am Hinterkopf in Form einer großen Schnecke aufgesteckt. Zog Oma vor dem Schlafengehen die Nadeln aus dem Zopf und paßte dabei nicht auf, dann fiel ein großer Teil der Haarpracht zu Boden. Heute würde man wohl vornehm ›Haarteil‹ dazu sagen, damals hieß das Ding aber falscher Wilhelm‹.
    Dieses Erzeugnis der Frisierkunst klemmte Oma morgens in einer Tischschublade fest, bearbeitete es mit Kamm und Bürste und fabrizierte wieder eine Schnecke daraus.
    »Ziept das nicht ganz ekelhaft?« wollte ich einmal wissen.
    »Ich bin nicht so empfindlich«, antwortete meine Urgroßmutter, zu längeren Erklärungen offenbar nicht aufgelegt.
    »Komisch, bei mir ziept das immer.«
    Omis jahrelangen Bemühungen, ihre Mutter aus der beklagenswert unattraktiven Gegend herauszuholen und sie in das fiel feinere Zehlendorf zu verpflanzen, scheiterten. Uroma lebte schon seit Jahrzehnten in derselben Straße, erst im Vorderhaus, nach dem Tod ihres Mannes im Hinterhaus, weil da die Wohnungen kleiner und billiger waren; und sie dachte gar nicht daran, die gewohnte Umgebung aufzugeben.
    »Wenn Malchen die Gegend nicht paßt, braucht sie ja nicht herzukommen.«
    (Malchen war Omi, die eigentlich Amalie hieß und zeit ihres Lebens diesen Namen verwünscht hat).
    In den letzten Kriegstagen wurde Omas Hinterhaus von einer Bombe getroffen. Sie selbst kam zwar mit dem Leben davon, hatte aber außer dem 24-teiligen Fischbesteck nichts retten können. Kurz danach ist sie gestorben, ohne daß man eine genaue Todesursache hatte feststellen können.
    Das Fischbesteck erbte Omi, hat es aber meines Wissens nie benutzt, weil wir den gekochten Schellfisch seit jeher mit zwei Gabeln zu essen pflegten.
    Wann ich zum erstenmal von meiner Mutter das Wort Krieg hörte, weiß ich nicht mehr, aber ich hätte mir ohnehin nichts darunter vorstellen können. Krieg war etwas, das sich irgendwo in Amerika zwischen Weißen und Indianern abspielte, und den die Indianer immer verloren. Meine Kenntnisse stammten von Lothars Bruder Hartmut und dessen Freund Maugi, der richtig Maximilian hieß und schon in die vierte Klasse ging.
    »Also du, Mümmchen, Helga und Klaus spielen die Komantschen, die Old Shurehand gefangen haben. Das ist Lothchen. Und wenn ihr ihn gerade am Marterpfahl rösten wollt – ihr bindet ihn einfach an den Pfahl vom Briefkasten, hier ist Strippe! –, dann werden Hartmut und ich euch umzingeln und unseren Blutsbruder trotz der gewaltigen Übermacht befreien. Und wehe dir, Mümmchen, wenn du wieder spuckst!«
    »Ich spiele nicht mit«, erklärte sie vorsichtshalber, »Krieg ist doof.«
    Das fand ich auch, und deshalb begriff ich nicht, weshalb Erwachsene das ebenfalls spielen wollten.
    Inzwischen wurde dieser Krieg zu Hause immer häufiger erwähnt und besonders ausgiebig diskutiert, wenn wir bei Helmbergs waren. Bei Helmbergs handelte es sich um meine Großeltern väterlicherseits, die eine Sechs-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Breitenbachplatzes bewohnten, und bei denen wir alle zwei Wochen sonntags zum Essen zu erscheinen hatten. Mein Großvater war Beamter und bekleidete als solcher einen leitenden Posten in der Stadtverwaltung. Gewissermaßen gehörte er also zur Regierung, und wenn seine politischen Ansichten auch nicht unbedingt konsequent waren, so galten sie innerhalb der Familie zumindest als gut fundiert.
    »Natürlich gibt es keinen Krieg«, erklärte er dann auch mit voller Überzeugung, »aber vielleicht wäre es doch angebracht, mein lieber Heinz, wenn du die Stellung bei deinem Exporteur aufgibst, und in den Staatsdienst wechselst. Das
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