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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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Pappschachteln auf Regalen übereinandergetürmt. Nähseide, Gummiband und ähnliche alltägliche Gebrauchsartikel befanden sich in Reichweite; aber schon der Wunsch nach dunkelgrünen Knöpfen löste rege Tätigkeit aus. Die Trittleiter wurde aus der Ecke geholt, Ida bestieg dieselbe, beäugte durch das um den Hals hängende Lorgnon die Aufschriften der Kartons, entfernte die zwei oberen, um den dritten dann ihrer Schwester Alma zu reichen, die ihn auf den Ladentisch stellte und zusammen mit der Kundin anhand mitgebrachter Stoffproben die gewünschten Knöpfe aussuchte.
    »Die hier sind doch sehr schön«, sagte Alma, »und sogar aus echtem Horn.«
    »Aber ich brauche sie für ein Seidenkleid.«
    »Wie wäre es denn mit diesen Kugelknöpfen? Das ganze Dutzend nur fünfundachtzig Pfennig.«
    Die Kundin zögerte. »Ob ich nicht doch lieber weiße nehme? Die würden dann auch gleich zu den Schuhen passen.«
    Weiße Knöpfe waren in einer anderen Schachtel. »Das würde ich aber nicht tun«, sagte Alma, »was wollen Sie machen, wenn Sie schwarze Schuhe tragen?«
    Die Kundin entschied sich also für die Kugelknöpfe, und anschließend wiederholte sich die schon erwähnte Prozedur in umgekehrter Reihenfolge. Die inzwischen weggeräumte Leiter wurde zurückgeholt. Alma reichte Ida den Kasten, und Ida stellte ihn ins Regal. Sie muß – in entsprechende Relation gesetzt – jeden Monat mindestens einmal den Montblanc bestiegen haben.
    Nun führten die Schwestern Sakautzky aber nicht nur Kurzwaren, sondern auch Unterwäsche. Überwiegend weiße, lila und lachsfarbene. Und natürlich Büstenhalter. Heute findet man sie in jedem Warenhaus auf dem Wühltisch, damals versteckte man sie in verschnürte Schachteln unter drei Lagen Seidenpapier. Wenn Omi wieder einmal solch ein delikates Wäschestück kaufen wollte, mußte ich draußen vor der Ladentür warten!
    Obwohl es in der Ladenstraße auch ein Milchgeschäft gab, betraten wir es nur ganz selten. Milch brachte Bolle. Das ist eine ausschließlich Berliner Institution. Milchautos gibt es überall, Bolle gibt es nur in Berlin. Wenn so gegen halb elf der Bolle-Wagen bimmelte, strömten aus fast allen Haustüren die Frauen mit Kannen, Porzellankrügen oder auch mal mit einem Kochtopf, und heimsten neben der Milch auch noch die letzten Tagesneuigkeiten ein.
    »Haben Sie schon den neuen Kavalier von Kubalkes Tochter gesehen? Ist so ’n ganz fescher, und jeden Freitag bringt er Blumen mit.«
    »Heute nacht soll der Pleisewitz ja wieder einmal seine Frau verprügelt haben!«
    »Na, denn hab ich ja doch richtich jehört! Der Olle war wieda voll wie ’ne Strandhaubitze.«
    »Ich weiß gar nicht, wie solche Leute überhaupt in diese Gegend ziehen konnten.«
    »Wieso denn nich? Als Schuster vadient er doch janz jut.« Bolle hatte lose Milch und solche in Flaschen. Omi nahm immer lose, die war billiger. Ganz Begüterte verschmähten Bolle und warteten noch zwei Stunden, bis der Wagen von der Domäne Dahlem seine Runden drehte. Der wurde von einem Pferd gezogen, sein Kutscher trug einen Zylinder und stellte Dauerbeziehern die Milchflaschen sogar vor die Wohnungstür. Wenn die verwitwete Frau Regierungsrat mal nicht auf Reisen war, hielt er auch vor unserer Tür.
    Meine Erziehung lag ausschließlich in Omis Händen und war entsprechend ihren preußischen Grundsätzen absolut autoritär. Sie drillte mich so lange, bis ich ihren Vorstellungen von einem guterzogenen Kind entsprach.
    »Du sollst grade sitzen!«
    »Du sollst bei Tisch nur reden, wenn du gefragt wirst!«
    »Du sollst nicht mit vollem Mund sprechen!«
    »Du sollst das Milchglas nicht immer so voll gießen!«
    »Du sollst… du mußt… du darfst nicht …«
    Es war mir verboten, mit fremden Leuten zu reden (auch wenn sie mich nur nach dem Weg fragten), ich durfte nicht mit fremden Kindern spielen, ich durfte sonntags nicht Roller fahren, ich durfte mich nicht außer Rufweite des Hauses aufhalten, ich durfte nicht ›blöder Affe‹ sagen, ich durfte nicht die Finger in den Mund stecken und ich durfte keine Bommelstrümpfe tragen, jene von mir so heißersehnten Kniestrümpfe mit kleinen Quasten an der Seite.
    Dafür durfte – beziehungsweise mußte – ich: Immer die Wahrheit sagen, bei Dämmerungsbeginn zu Hause sein, Geschirr abtrocknen, täglich einen Löffel Lebertran einnehmen und im Winter zwei Unterhosen tragen, davon eine aus reiner Wolle, die trotzdem kratzte.
    Spaziergänge mit Omi, die meistens an der Ladenstraße
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