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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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endeten, wurden für mich zur Qual.
    »Da hinten kommt Frau Gerlitz, vergiß nicht zu grüßen!« Waren wir schließlich auf gleicher Höhe, dann blieb ich stehen, machte einen Knicks und durfte weitergehen. Oder wir trafen eine Bekannte, die von Omi etwas wissen wollte.
    Dann hieß es: »Du kannst schon vorausgehen und an der Litfaßsäule warten, ich komme gleich nach.«
    Also spazierte ich bis zur Litfaßsäule, die mich herzlich wenig interessierte, weil ich noch nicht lesen konnte, und wenn ich sie zwanzigmal im Schneckentempo umrundet hatte, war Omi immer noch nicht da.
    Da meine Spielkameraden einem ähnlichen Drill unterworfen waren, benahmen wir uns sogar außerhalb mütterlicher Sichtweite einigermaßen gesittet und trugen gelegentliche Streitigkeiten überwiegend mit Worten, hin und wieder aber auch mit Sandschaufeln aus. Kam ich nach Hause, um die kleine Schramme verpflastern zu lassen, examinierte Omi mich sofort:
    »Wer war das?«
    »Weiß ich nicht genau, ich glaube, der Uli.«
    »Weshalb hat er dich geschlagen?«
    »Der Klaus hat angefangen, mit Steinen zu schmeißen, und wie ich dann zurückschmeißen wollte, hab’ ich den Uli…«
    »Wenn dieser ungezogene Junge dich mit Steinen bewirft, warum bist du nicht zu mir gekommen und hast mir das gesagt, anstatt zurückzuwerfen?«
    »Was nützt denn das«, maulte ich. »Du triffst doch nicht mal ein Scheunentor.«
    Prompt handelte ich mir eine Ohrfeige ein, und die war schmerzhafter als Ulis Sandschaufel.
    Anstatt nun solche belanglosen Vorfälle auf sich beruhen zu lassen, pflegte Omi den vermeintlichen Übeltäter zur Rede zu stellen und zwar vom Küchenfenster aus. Einmal soll sie sogar zornbebend aus der Haustür gelaufen sein und meinen Peiniger mit einer hocherhobenen Toilettenbürste in die Flucht geschlagen haben. Für letzteres kann ich mich nicht verbürgen, aber ich halte es für durchaus denkbar.
    Omi liebte mich, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Eine deutsche Frau zeigt keine Gefühle! hieß es damals schon, vermutlich als Training für kommende Zeiten. Meine Urgroßmutter hielt sich nicht an dieses Gebot, deshalb freute ich mich auch immer, wenn wir sie besuchten.
    Urgroßmutter Meinicke wohnte am Halleschen Tor, also in einer ganz und gar nicht feinen Gegend. Und dann auch noch in einem Hinterhaus! Omi hielt diese blamable Tatsache auch vor allen Nachbarn geheim und siedelte Uroma im noblen Tiergartenviertel an, ohne zu ahnen, daß ich die Wahrheit schon überall herausposaunt hatte.
    »Da gibt es einen richtigen Hof mit Mülltonnen drauf und einer Teppichstange, auf der man rumklettern kann«, erzählte ich Mümmchen begeistert, »und die Kinder dürfen alle berlinern, und keiner verbietet ihnen das.«
    »Mensch«, sagte Mümmchen (was eigentlich auch schon vorboten war), »da möcht ich mal hin! Könnt ihr mich das nächste Mal nicht mitnehmen?«
    Leider fuhren wir viel zu selten zur Uroma. Und wenn Omi dabei war, durfte ich sowieso nicht zum Spielen in den Hof. Manchmal kam es aber auch vor, daß ich über Nacht bei ihr abgestellt wurde – hauptsächlich dann, wenn Omi zu ihrem Kränzchennachmittag trabte und immer erst spätabends zurückkam. Im allgemeinen schleppte sie mich beharrlich überallhin mit: zum Friseur, zum Einkauf eines Korsetts in ein Spezialgeschäft nach Steglitz und zu Tante Friedel, deren Schäferhund mich genausowenig leiden konnte wie ich ihn.
    Wurde ich aber doch mal mit Handköfferchen und Teddybär bei Uroma abgeliefert, dann fiel für mich Ostern und Weihnachten auf einen Tag.
    »Und laß mir das Kind nicht mit diesen Gören da unten spielen!« ermahnte Omi ihre Mutter regelmäßig, eine Anweisung, die Uroma geflissentlich überhörte.
    Bei ihr durfte ich morgens auch die frischen Hörnchen in die Kakaotasse tunken, was den mir eingetrichterten Tischmanieren Hohn sprach. Ich durfte ›nee‹ statt ›nein‹ sagen und brauchte keine Haarschleife zu tragen. Die wurde erst kurz vor Omis vermutlicher Ankunft eingebunden, von ihr jedoch sofort wieder entfernt und gegen eine brettsteif gestärkte ausgewechselt, die sie vorsichtshalber mitbrachte.
    Zwei Dinge gab es bei Uroma, die mich immer wieder begeisterten und von denen ich Mümmchen nie genug erzählen konnte. »Da gibt es überhaupt keine Toilette in der Wohnung, man muß immer eine halbe Treppe rauf oder runter, und wehe, wenn du den Schlüssel vergessen hast. Dann kommste nämlich nicht rein. Bei meiner Oma hängt der gleich neben der Korridortür, mit
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