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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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sowat bloß uffhängen?«
    »Das ist ein Gauguin, also ein sehr bekannter französischer Maler«, belehrte meine Mutter den offensichtlichen Kunstbanausen.
    »Mir ejal, wer det is, uff jeden Fall passen die nackichten Negerweiber nich zu det unschuldije Kindajesicht.« Damit stellte er das Bild zur Seite und widmete sich wieder seiner künstlerischen Tätigkeit.
    Das so entstandene Porträt kam in einen Ebenholzrahmen, aus dem zuvor das letztjährige Bild entfernt worden war, und wurde dann wieder aufs Klavier gestellt. Das nunmehr ausrangierte Foto verschwand in einem braunen Lederalbum, wo es sorgfältig eingeklebt und mit den erforderlichen Daten versehen wurde.
    Wenn ich mir diese Aufnahmen jetzt in chronologischer Reihenfolge betrachte, finde ich eigentlich keine großen Unterschiede heraus. Immer sieht mich ein etwas blasses Mädchen mit einem maskenhaften Lächeln an, die dunklen Augen krampfhaft aufgerissen, die braunen kurzgeschnittenen Haare links gescheitelt, erst ohne Spange, dann mit und vom Schulalter an mit riesen Taftschleifen verziert. Aus dem Rüschenkleid der Zweijährigen wurde ein Bleylekleid, das meistgehaßte Stück meiner Garderobe, weil es nie kaputtging, dann ein kariertes Taftkleid in gedeckten Farben, das war nicht so schmutzempfindlich. Und schließlich wurde ich in einer weißen Bluse mit schwarzem Fahrtentuch und Lederknoten abkonterfeit. Das war 1944 und das letzte Künstlerfoto.
    An meinen vierten Geburtstag kann ich mich noch genau erinnern, weil ich zum erstenmal eine Kindergesellschaft geben und alle meine Spielkameraden einladen durfte. Allerdings war dieser Einladung ein erbitterter Kampf vorausgegangen.
    »Mümmchen will ich nicht, die spuckt immer!«
    »Mümmchen mußt du einladen, denn wir wohnen im selben Haus«, sagte Omi.
    Weshalb das ausschlaggebend sein sollte, begriff ich zwar nicht, aber wenn Omi sagte, ich muß, dann mußte ich eben!
    »Klaus kann doch auch kommen, nicht wahr?«
    Klaus wurde akzeptiert, genau wie Lothchen, der eigentlich Lothar hieß und im Nebenhaus wohnte. Er war ein etwas verschlossener Junge, sehr sensibel und gutmütig bis zur Dummheit. Ich mochte ihn aber leiden und verteidigte ihn sogar heroisch, wenn er von älteren Nachbarskindern gehänselt wurde.
    Diese Neckereien verdankte er der Strickleidenschaft seiner Mutter, die ihren Jüngsten von Kopf bis Fuß in Handgestricktes wickelte. Angefangen von hellblauen Gamaschen über dunkelblaue Pullover bis zur ebenfalls hellblauen Mütze in Schiffchenform, trug Lothar nur Stricksachen – vorzugsweise in Perlmuster. Einmal bekam ich von seiner Mutter auch eine Strickjacke geschenkt, die war rosa, hatte Glasknöpfe und kratzte.
    »Helga möchte ich auch noch einladen«, ergänzte ich meine Gästeliste.
    »Hm«, sagte Omi und dachte scharf nach. »Das wird sich wohl kaum umgehen lassen.«
    Helga Ingersen war drei Wochen jünger als ich und wohnte auch im Nebenhaus. Den fehlenden Herrn Ingersen vermißte ich anfangs nie, später wurde mir erklärt, er lebe aus beruflichen Gründen woanders. Noch später kam ich dahinter, daß Frau Ingersen eigentlich Fräulein Ingersen hieß, was die ganze Sache nun auch nicht klarer machte.
    Die Geburtstagsfeier wurde ein voller Erfolg; auch wenn Mümmchen ihre Papierserviette an die brennenden Kerzen hielt, die lodernde Fackel auf den Kuchenteller warf und dann schreiend unter den Tisch kroch. Omi löschte die Flammen mit Himbeersaft und Frau Molden bestand darauf, daß ihr die Tischdecke zum Waschen überlassen wurde. Grete aus dem Spreewald schrubbte sie dann auch wieder sauber.
    Regelmäßiger Gast in unserem Haus war auch Tante Else. Das war Omis Kusine, die als Hausschneiderin arbeitete und alle paar Monate erschien, um ausgewaschene Kleider zu verlängern und neue anzufertigen. Gegen die neuen hatte ich ja nichts einzuwenden; ich haßte nur die Anproben. Zu diesem Zweck wurde ich auf den Wohnzimmertisch gestellt, während Omi und Tante Else ständig an mir herumzupften, mich mit Stecknadeln piekten und sich über die Rocklänge nicht einigen konnten.
    »Zwei Handbreit über’m Knie«, befahl Omi.
    »Aber nicht doch«, sagte Tante Else, »dann sieht man ja beim Bücken gleich das Höschen.«
    Omi ließ sich nicht erschüttern. »In Zukunft werde ich eben einen halben Meter Stoff zusätzlich kaufen, der reicht dann noch für einen Schlüpfer.«
    So kam es, daß ich schon damals sehr farbenfreudige Unterhosen besaß, angefangen von geblümten Musselinhöschen bis zu
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